Frankfurter Allgemeine Zeitung FINANZIERUNG FÜR DEN MITTELSTAND Mittwoch, 14.11.2012, Nr. 266 / Seite V6

Unternehmensfinanzierung durch betriebliche Altersversorgung?

Die Rolle der betrieblichen Altersversorgung als Bestandteil der Unternehmensfinanzierung hat sich im Mittelstand in den letzten Jahren stark zurückgebildet. Risikominimierung und Bilanzneutralität stehen deshalb heute mehr denn je im Vordergrund.

VON PAULGERD KOLVENBACH.

Spielt die betriebliche Altersversorgung (bAV) eine Rolle bei der Unternehmensfinanzierung, und wenn ja, welche? Diese Frage lässt sich wohl am besten mit Zahlen belegen. In den Bilanzen der deutschen Unternehmen standen Ende 2010 rund 250 Milliarden Euro an Pensionsrückstellungen. Da auf der Passivseite der Bilanz die Finanzierungsmittel stehen, ist die Frage also erst mal einfach zu beantworten: Die betriebliche Altersversorgung spielt ganz offensichtlich eine Rolle bei der Finanzierung deutscher Unternehmen.

Die eingangs erwähnten 250 Milliarden Euro stellen aber nur 53,1 Prozent der gesamten Deckungsmittel der betrieblichen Altersversorgung im Jahre 2010 dar. Ratings, Sicherheitsfragen, bilanzielle und administrative Gründe gaben bei den übrigen 46,9 Prozent den Ausschlag für die Wahl sogenannter externer Durchführungswege wie Pensionskasse, Pensionsfonds und Direktversicherung. Deren Dotierung erfolgt unmittelbar zu Lasten der Gewinn-und -Verlust-Rechnung des jeweiligen Unternehmens und entfaltet keine Finanzierungswirkung.

Mittelstand neigt zu mehr externer Finanzierung

Erfahrungen belegen, dass die Durchdringung mit Direktzusagen, für die Rückstellungen zu bilden sind, mit der Unternehmensgröße deutlich zunimmt. Für den Mittelstand dürfte dennoch ein Anteil am Rückstellungsvolumen in zweistelliger Milliardenhöhe verbleiben und gleichzeitig der prozentuale Anteil der externen Durchführungswege wesentlich höher ausfallen. Auch im Mittelstand hat die betriebliche Altersversorgung also eine Finanzierungsfunktion, allerdings in einem geringeren Ausmaß als bei den kapitalmarktorientierten Unternehmen. Dabei hat die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung im Mittelstand deutlich zugenommen.

Gemäß Analysen von tns infratest aus dem Jahr 2007 ist in mehr als 90 Prozent aller Unternehmen mit mindestens 20 Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung vorhanden. Bei den kleineren Unternehmen fällt die Quote stark ab, bis auf 35 Prozent bei Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern. Im Jahre 2001 lagen die Prozentsätze bei kleinen und mittleren Unternehmen noch erheblich niedriger. Hier zeigen sich die Auswirkungen des 2001 eingeführten Rechtsanspruchs auf eine betriebliche Altersversorgung im Rahmen der Entgeltumwandlung, kostenneutral für den Arbeitgeber und in aller Regel extern durchgeführt.

Risiken durch Pensionsrückstellungen werden häufig unterschätzt

Geht man der Frage nach, welche Aktiva durch Pensionsrückstellungen finanziert werden, ist festzustellen, dass sich hier in den vergangenen 15 Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Bis in die Mitte der neunziger Jahre hielt sich die Überzeugung von der billigen Unternehmensfinanzierung durch Direktzusagen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung: Die Rückstellungen stellten einen zinsgünstigen, unkündbaren Dauerkredit der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber dar, mit dem dieser seine unternehmerischen Aktivitäten nachhaltig finanzieren könne.

Schon damals wurde oft unterschätzt, dass der Kredit der Arbeitnehmer keine feste, planbare Größe darstellt, sondern sich mit der Entwicklung der dahinter liegenden Pensionsverpflichtungen und dem aktiven Geschäft des Unternehmens verändert. Reduziert sich beispielsweise aus konjunkturellen Gründen die aktive Belegschaft, so stellt die nach wie vor vorhandene Pensionslast der ehemaligen Aktiven eine immer stärkere finanzielle Belastung des Unternehmens dar. Die finanziellen Auswirkungen sind dann doppelt schmerzhaft, einerseits aufgrund der Liquiditätsabflüsse für die Rentenzahlungen und andererseits wegen der "Zwangstilgungen" des Kredites aufgrund nicht nachwachsender Aktivenbestände. Außerdem ist eine Rückstellung, die gemäß HGB mit rund 5 Prozent pro Jahr verzinst werden muss, in Zeiten deutlich gesunkener Zinsen mittlerweile nicht mehr eine unbedingt günstige Finanzierungsvariante.

Aus Erfahrung klug geworden, sind viele Unternehmen dazu übergegangen, ihre Pensionsverpflichtungen auf der Aktivseite mit einem sogenannten Deckungsvermögen zu versehen. Gemeint sind hier Vermögenswerte, die dann die passende Liquidität abwerfen, wenn sie für Pensionsleistungen gebraucht werden, wie beispielsweise Rückdeckungsversicherungen. Gleichzeitig eröffnet das neue Handelsrecht seit 2010 die Möglichkeit der bilanziellen Saldierung von Pensionsverpflichtung und Deckungsvermögen. Die Pensionsrückstellung dient dann nicht mehr der Unternehmensfinanzierung und tritt, soweit durch spezielles Vermögen gedeckt, bilanziell gar nicht mehr in Erscheinung.

Zunehmende Risiken fördern externe Durchführung

Gerade im Mittelstand mit seinen oft kleinen Unternehmensgrößen kommt es darauf an, das Unternehmen vor Unwägbarkeiten zu schützen. Versorgungszusagen beinhalten biometrische Risiken wie beispielsweise Berufsunfähigkeit, Tod oder Langlebigkeit, und die Ansammlung der Deckungsmittel ist dem Kapitalanlagerisiko ausgesetzt. So ist jetzt bereits erkennbar, dass der nach HGB für die Rückstellungsberechnung anzusetzende Zins in den kommenden Jahren kontinuierlich sinken wird. Dies hat zur Folge, dass die Rückstellungen ansteigen werden, ohne dass diesem Anstieg gesichert auch ein Anstieg des Deckungsvermögens gegenübersteht. Eine solch drohende Unverhältnismäßigkeit zwischen Aktiv- und Passivseite fördert zusätzlich die Tendenz zur externen Durchführung der betrieblichen Altersversorgung. Erweist sich diese als nicht genügend flexibel für die bestehende Zusage, so kann eine Absicherung durch Rückdeckungsversicherungen bei Beibehaltung der internen Durchführung Abhilfe schaffen.

Dr. Paulgerd Kolvenbach, Aktuar und Sprecher der Geschäftsführung der Longial GmbH, Düsseldorf

[Bildtext:]

Auch im Mittelstand hat die betriebliche Altersversorgung eine Finanzierungsfunktion.

© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.