• 24. Mai 2023

Neues zum Rechnungszins in der Handels- und Steuerbilanz

Durch Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2009 wurde die handelsbilanzielle Bewertung von Pensionsrückstellungen grundlegend geändert. Zu den Neuerungen zählte unter anderem, die erwarteten Zahlungsströme, die sich aus den Pensionsverpflichtungen ableiten, mit einem durchschnittlichen Marktzinssatz abzuzinsen (§ 253 Abs. 2 Satz 1 und 2 Handelsgesetzbuch HGB). Der Durchschnitt wird dabei aus den von der Bundesbank veröffentlichten Marktzinsen der vergangenen sieben Geschäftsjahre gebildet. Die langanhaltende Niedrigzinsphase führte dazu, dass der Sieben-Jahresdurchschnitt von über fünf Prozent im Jahr 2009 auf etwas über drei Prozent in 2016 gesunken ist. Auf der anderen Seite stiegen damit die Pensionsrückstellungen der Unternehmen deutlich an, da die künftigen Zahlungsströme weniger stark abzuzinsen waren. Die Entwicklung des Zinses hat also maßgeblichen Einfluss auf die Höhe der Pensionsrückstellungen.

Um die wirtschaftlichen Belastungen des anhaltenden Niedrigzinsumfeldes und der damit jährlich aufgrund des sinkenden Zinses steigenden Pensionsrückstellungen abzumildern, hat die Bundesregierung im Jahr 2016 den Zeitrahmen für die Ermittlung des durchschnittlichen Marktzinses für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen von sieben auf zehn Jahre angehoben. Gleichzeitig wurde beschlossen, dass die Differenz zwischen einer Bewertung der Pensionsverpflichtungen mit dem Sieben- und dem Zehn-Jahresdurchschnitt in jedem Geschäftsjahr im Anhang oder unter der Bilanz darzustellen sei. Der Unterschied der beiden Bewertungsansätze unterliegt dabei der Ausschüttungssperre (§ 253 Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 HGB).

Seit dem Jahr 2022 hat sich die Marktsituation nun deutlich gewandelt. Anstelle einer verschwindend geringen Inflation haben wir nun deutlich höhere Inflationsraten. In Kombination mit der Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) führt dies zu einem deutlichen Anstieg des von der Bundesbank veröffentlichten Marktzinses. Aufgrund des kürzeren betrachteten Zeitraums reagiert der Sieben-Jahresdurchschnittszins wesentlich sensitiver gegenüber den hohen Marktzinsen als der Zehn-Jahresdurchschnittszins. In unseren aktuellen Prognosen gehen wir daher davon aus, dass der Sieben-Jahreszins schon innerhalb der kommenden zwei Jahre oberhalb des Zehn-Jahreszinses liegen wird. Dabei haben wir eine gleichbleibende Renditesituation an den Finanzmärkten unterstellt. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass für den Bilanzstichtag ab dem 31.12.2024 die oben beschriebene Ausschüttungssperre entfällt, da die Pensionsrückstellung unter Berücksichtigung des Sieben-Jahreszinses erstmalig größer als bei einer Berechnung mit dem Zehn-Jahreszins wäre. Ob die Bundesregierung hinsichtlich dieser Aussichten plant, zukünftig wieder auf eine Durchschnittsbildung über sieben Jahre zurückzukehren, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.


...und was gibt es Neues beim steuerlichen Rechnungszinses nach § 6a Einkommensteuergesetz (EStG)?

Wir erinnern uns: Der § 6a EStG-Rechnungszins von sechs Prozent ist seit Jahrzehnten unverändert und liegt deutlich über dem Marktzins. Nach Ansicht des Finanzgerichts Köln (Urteil vom 12.10.2017 – 10 K 977/17) verstößt § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der in 2015 geltenden Fassung insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), als zur Ermittlung der Pensionsrückstellung ein Rechnungszinsfuß von sechs Prozent anzusetzen ist. Das Thema liegt bereits seit dem 20.12.2017 (!) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vor (2 BvL 22/17).

Die Bundesregierungen der vergangenen Jahre haben bisher keinen Handlungsbedarf gesehen. Auf mehrere kleine Anfragen hin wurde in der Regel geantwortet, dass man den steuerlichen Rechnungszinsfuß für Pensionsrückstellungen unverändert für verfassungsgemäß halte. Ein gesetzlich eindeutig festgeschriebener Zinssatz verhindere, dass in Phasen steigender Kreditzinsen die Unternehmen steuerlich zusätzlich belastet würden.

Auch die aktuelle Bundesregierung lässt nicht erkennen, sich des Themas annehmen zu wollen. Und dies obwohl inzwischen mit der FDP eine Partei in der Regierung ist, die zu dem Sachverhalt in der Vergangenheit besonders kritisch nachgefragt hatte (vergleiche folgende Bundestags-Drucksachen: BT-Drucksache 19/3091 vom 29.06.2018, BT-Drucksache 19/17998 vom 17.03.2020 und BT -Drucksache 19/26566 vom 10.02.2021).

Arbeitgeber, die unmittelbare Versorgungszusagen erteilt haben, werden ihren Blick also weiterhin hoffnungsvoll nach Karlsruhe richten müssen. Doch auch von dort kommen keine Zeichen, sich der Sache nunmehr zügig annehmen zu wollen. Im Gegenteil: Der Rechnungszins nach § 6a EStG findet sich einmal mehr nicht auf der aktuellen Jahresvorschau des BVerfG.

So schnell wird sich hinsichtlich des Auseinanderfallens von handelsrechtlichem und steuerlichem Zins also keine Änderung ergeben. Dies hat zur Folge, dass unverändert Steuern auf Gewinne gezahlt werden, die wirtschaftlich gar nicht entstanden sind beziehungsweise eigentlich zur Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen verwendet werden müssten.

Richard Breese, Aktuar (DAV), Sachverständiger IVS, Leiter Operations & Services 1, Longial
Michael Gerhard, Aktuar (DAV), ERGO-Versorgungsträgermanagement, Longial