04. Dezember 2019

Abfindungs- beziehungsweise Kapitalisierungsklauseln und Eindeutigkeitsgebot (BFH-Urteil vom 23.7.2019 – XI R 48/17 – sowie BFH-Beschluss vom 10.7.2019 – XI R 47/17)

Unmittelbare Versorgungszusagen beinhalten auch Regelungen, wann eine in Rentenform in Aussicht gestellte Anwartschaft auf Leistungen der bAV oder eine laufende Leistung kapitalisiert werden kann. Sind sie nicht eindeutig genug, kann eine Bildung von Rückstellungen in der Steuerbilanz ausscheiden.


Das Gesetz fordert eine eindeutige Formulierung, ...

Nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht eine Voraussetzung dafür, dass mit steuerlicher Wirkung eine Pensionsrückstellung für eine Direktzusage gebildet werden kann, darin, dass diese „eindeutige Angaben zu Art, Form, Voraussetzungen und Höhe der in Aussicht gestellten künftigen Leistungen“ enthält. Mit der Frage, ob – und wenn ja, in welcher Form – diese gesetzliche Bestimmung auch auf Abfindungs- beziehungsweise Kapitalisierungsklauseln in Versorgungszusagen anzuwenden ist, hatte sich jüngst der Bundesfinanzhof (BFH) in zwei Verfahren zu befassen.

... an der es dann mangelt, wenn eine Angabe zum Zins fehlt, ...
Die Höhe einer etwaigen Einmalzahlung als Ersatz für eine in Aussicht gestellte Rentenleistung hängt naturgemäß von verschiedenen Berechnungsannahmen ab. Wesentlich ist zum einem der Zinssatz, mit dem die künftigen Leistungen abzuzinsen sind. Zum anderen haben biometrische Annahmen, sogenannte Sterbetafeln, also der Ansatz von Wahrscheinlichkeiten, unter denen Versorgungsfälle in Zukunft eintreten werden, erheblichen Einfluss auf die Ermittlung der Höhe des einmaligen Kapitalbetrages. In dem ersten der beiden Verfahren enthielt die fragliche unmittelbare Versorgungszusage zu diesen Parametern keine explizite Regelung. Die dem Alleingesellschafter-Geschäftsführer erteilte Direktzusage ließ nach einem Dienstaustritt die Abfindung beziehungsweise im Leistungsfall die Kapitalisierung der in Aussicht gestellten Leistungen einseitig durch den Arbeitgeber zu. Zur Höhe des Einmalbetrages hieß es dort lediglich, dass dieser „unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Abfindung gültigen Rechnungsgrundlagen für betriebliche Pensionsverpflichtungen zu berechnen“ sei. Nach Auffassung des BFH wurde durch diese Formulierung insbesondere der zu verwendende Diskontierungszinssatz nicht weit genug eingegrenzt. Die Formulierung ließ aus BFH-Sicht offen, ob ein handelsrechtlicher, ein steuerlicher oder ein aufsichtsrechtlicher Zinsansatz (beziehungsweise ein Zwischen- oder Durchschnittswert) verwendet werden soll. Der BFH wollte der Einschätzung der Vorinstanz (Finanzgericht Schleswig-Holstein-Urteil vom 21.2.2017 – 1 K 141/15), welche die betreffende Formulierung in der Zusage als ausreichend eindeutig beurteilt hatte, daher nicht folgen und sah eine Verletzung des nach § 6a EStG bestehenden Eindeutigkeitsgebotes. Somit lehnte der BFH die steuerliche Anerkennung der für die Versorgungszusage gebildeten Pensionsrückstellungen ab.

... die aber bezüglich der Sterbetafel unter Umständen durch Auslegung gegeben sein kann.
In dem zweiten Verfahren stand nicht der bei der Berechnung des Einmalbetrages anzusetzende Zinssatz, sondern die Sterbetafel im Fokus. Dort räumte die Zusage, welche einem Gesellschafter-Geschäftsführer erteilt worden war, dem Arbeitgeber das Recht ein, die Leistungen bei Eintritt des Versorgungsfalls durch den Barwert der künftigen Renten zu kapitalisieren, wobei „ein Rechnungszinsfuß von 6 von Hundert und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden“ seien. Bereits in der Vorinstanz hatte das Finanzgericht diese Formulierung als ausreichend eindeutig beurteilt (FG Schleswig-Holstein-Urteil vom 21.2.2017 – 1 K 68/14). Dieser Meinung schloss sich der BFH in der Revision an. Dabei war für seine Entscheidung wesentlich, dass die Finanzverwaltung in langjähriger Praxis die Sterbetafel „Heubeck-Richttafeln“ in ihrer jeweils aktuellen Fassung als mit den anerkannten versicherungsmathematischen Grundsätzen im Sinne des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG übereinstimmend anerkennt. Die Anwendung anderer oder modifizierter Sterbetafeln würde im Übrigen von der Finanzverwaltung nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen anerkannt (vergleiche BMF-Schreiben vom 9.12.2011, IV C 6 - S 2176/07/10004 :001). Der BFH sah es insoweit als zulässig an, die Abfindungsklausel so auszulegen, dass die Vertragsparteien mit der Bezugnahme auf die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik die Anwendung der von der Finanzverwaltung anerkannten Richttafeln von Heubeck festschreiben wollten. Insofern stand nach Einschätzung des BFH die Eindeutigkeit der Abfindungsklausel nicht in Frage, sodass diese die steuerliche Anerkennung der gebildeten Pensionsrückstellung nicht gefährdete.

Fazit:

Das steuerliche Eindeutigkeitsgebot für unmittelbare Versorgungszusagen betrifft alle Klauseln, welche Art und Umfang etwaig zu erbringender Leistungen betreffen. Es gilt mithin auch für Abfindungs- beziehungsweise Kapitalisierungsklauseln. Wird dort der Zinssatz, welcher der Berechnung des Einmalbetrages zugrunde zu legen ist, nicht hinreichend genau festgeschrieben, droht insoweit, dass Pensionsrückstellungen mit steuerlicher Wirkung nicht gebildet werden können. Das beschriebene Risiko besteht grundsätzlich auch dann, wenn die anzuwendende Sterbetafel nicht erwähnt oder durch Auslegung der betreffenden Zusage nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann. Vor diesem Hintergrund sollten – gegebenenfalls nach Rücksprache mit einem Experten – bestehende unmittelbare Versorgungszusagen auf die Eindeutigkeit vorhandener Abfindungs- beziehungsweise Kapitalisierungsklauseln überprüft werden. Schließlich sei angemerkt, dass die Verfahren keine Aussage zu etwaigen Berechnungsannahmen zu Wertsteigerungen von Renten im Leistungsbezug treffen, die neben Zins und Sterbetafel naturgemäß auch erheblichen Einfluss auf entsprechende Berechnungen haben. Diesbezüglich besteht also noch Raum für künftige Verfahren vor den Finanzgerichten.

Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Recht | Steuern, Longial