25. Mai 2022
Abweichung von einer kollektiven Regelung nur durch individuelle Besserstellung möglich
Der Fall
Der Kläger wurde 1986 bei einer Kapitalanlagegesellschaft als Arbeitnehmer eingestellt. Diese verhandelte gerade eine neue Betriebsvereinbarung zur bAV für Neueinstellungen. Bei seinem Vorarbeitgeber war der Arbeitnehmer über den BVV, Beamtenversicherungsverein des Bankgewerbes a. G., der Pensionskasse für die betriebliche Altersversorgung von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen, versichert. Er einigte sich mit dem neuen Arbeitgeber über die Fortsetzung dieser individuellen Versorgung, weil er davon ausging, dass die alte bAV besser sei als die zu erwartende neue betriebliche Altersversorgung. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, dass er damit aus der neu verhandelten bAV ausgeschlossen sei. Der Arbeitgeber hat in den folgenden Jahren das kollektive System auf alle Beschäftigten angewandt und gelebt und den klagenden Arbeitnehmer ausgeschlossen. In all den Jahren hat der Arbeitgeber weiter an der individuellen Abrede festgehalten und Beiträge in die alte Versorgung gezahlt, ohne dem Arbeitnehmer eine vertragliche Änderung anzubieten oder eine solche mit ihm zu verhandeln. Die Möglichkeit, den Arbeitnehmer in die neue kollektive Zusage einzubeziehen oder den Ausschluss von Leistungen durch eine Anrechnungsregel zu ersetzen, ließ er ungenutzt. Zum Zeitpunkt des Rentenbeginns stellte der Arbeitnehmer dann fest, dass die vom Arbeitgeber damals abgeschlossene Neuregelung der bAV besser war als seine alte, so dass er die Differenz begehrte.
Die Entscheidung: Keine Berufung auf den Vorrang der individuellen Vereinbarung zur bAV möglich
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab dem Arbeitnehmer recht. Im Falle einer Betriebsvereinbarung kann ein Ausschluss aus einem kollektiven Versorgungswerk nach Ansicht des BAG schon allein aufgrund eines unzulässigen Verzichts im Sinne des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG gemäß § 134 BGB unwirksam sein, wenn die Einzelabrede für den betreffenden Arbeitnehmer nicht günstiger ist als die Betriebsvereinbarung. Handelt es sich bei dem kollektiven Versorgungswerk hingegen um eine Gesamtzusage, darf sich der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG zudem nach § 242 BGB (Leistung nach Treu und Glauben) i. d. R. nicht auf eine ausschließende Vereinbarung berufen. Dem Arbeitgeber war es für diesen Fall unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die individuelle Vereinbarung zur bAV mit dem Arbeitnehmer zu stützen, da sie es nach den besonderen Umständen des Falls pflichtwidrig (nach § 241 Abs. 2 BGB, Bürgerliches Gesetzbuch) unterlassen hat, mit ihm die Zusage der betrieblichen Altersversorgung erneut zu erörtern beziehungsweise zu verhandeln und ihm gegebenenfalls einen gleichwertigen Versorgungsschutz wie allen anderen Arbeitnehmern anzubieten. Es konnte damit hier dahinstehen, ob die neue kollektive Zusage als Betriebsvereinbarung oder als Gesamtzusage bestanden hat. Denn eine gegebenenfalls unwirksame Betriebsvereinbarung konnte in eine kollektive Gesamtzusage umgedeutet werden, bei welcher der Arbeitgeber den genannten Pflichten nicht nachgekommen war. Daher war der Verzicht, den der Arbeitnehmer bei Vertragseinstellung unterschrieben hatte, unwirksam.
Ergebnis: Bei gravierender Benachteiligung im Vergleich der unterschiedlichen Systeme ist kein Ausschluss möglich
Grundsätzlich können die Arbeitsvertragsparteien die Zusage und den Umfang der betrieblichen Altersversorgung frei gestalten. Dementsprechend können grundsätzlich auch Arbeitnehmer, denen bereits eine individuelle Zusage auf eine bAV erteilt wurde, von einem kollektiven Versorgungswerk ausgenommen werden. Wenn sich Arbeitgeber allerdings für ein kollektives System der betrieblichen Altersversorgung in ihrem Unternehmen entscheiden, können sie einzelne Arbeitnehmer mit individueller Versorgungszusage nicht von der kollektiv anwendbaren Altersversorgung ausnehmen, wenn die individuelle Versorgungsleistung geringer ausfällt, als die Leistung aus dem kollektiven Versorgungssystem. Das folgt daraus, dass die betriebliche Altersversorgung für die wirtschaftliche Absicherung des Versorgungsberechtigten von erheblicher Bedeutung ist.
Fazit
Der vollständige Ausschluss aus dem Firmenversorgungswerk von Arbeitnehmern, die eine individuelle Versorgungszusage erhalten haben, ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Arbeitnehmer mit individuellen Zusagen im Versorgungsfall eine zumindest annähernd gleichwertige Versorgung bekommen. Der Verzicht auf künftige Leistungen – wie er hier der Sache nach durch den Ausschluss von einem allgemein geltenden System der betrieblichen Altersversorgung vorliegt – ist im Rahmen einer Gesamtzusage nur zulässig, wenn der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, den wirtschaftlichen Wert seines Verzichts einzuschätzen. Er muss ihn sachgerecht beurteilen können.
i Was ist zu tun?
- Arbeitgeber müssen damit rechnen, dass aufgrund dieses höchstrichterlichen Urteils Arbeitnehmer, denen bei Diensteintritt eine individuelle Versorgungszusage erteilt wurde und die gleichzeitig aus dem weiteren Versorgungswerk ausgeschlossen wurden, spätestens im Versorgungsfall einen Vergleich der Leistungen der verschiedenen Versorgungszusagen verlangen. Bei einer Schlechterstellung dürften sie dann die Differenz zum Firmenversorgungswerk begehren. Bei Einrichtung von kollektiven Versorgungswerken, sollten Personen mit Einzelzusagen daher nicht per se ausgeschlossen werden – vielmehr bietet es sich an, die Leistungen der Einzelzusage auf die Leistungen kollektiven Versorgung anzurechnen Das schafft von vorneherein Transparenz, Rechtssicherheit und Vertrauen. In Bestandsfällen kommt in Betracht nachzuverhandeln.
Weitere Infos unter: weitblick@longial.de
Anja Sprick, Justiziarin Recht | Steuern, Longial
(Sie berät Unternehmen zu allen steuer- und arbeitsrechtlichen Fragen der bAV, insbesondere zu Auswirkungen bei Betriebsübergängen und Unternehmensverkäufen, der Versorgung von GGF, dem Geltungsbereich des BetrAVG)