25. Mai 2016

Auswirkungen der EU-Mobilitätsrichtlinie auf ein offenes Versorgungswerk – ein Fallbeispiel

Am 30.12.2015 wurde das Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie im Bundesgesetzblatt verkündet. Dieses setzt die EU-Mobilitätsrichtlinie mit Wirkung zum 01.01.2018 in nationales Recht um.

Zu den grundsätzlichen Auswirkungen hatten wir bereits in unserer Ausgabe 3/2015 berichtet. Im Folgenden wollen wir an einem Fallbeispiel zu einem offenen Versorgungswerk (das heißt, Neueintritte sind noch möglich) die Änderungen durch die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie verdeutlichen. Dabei betrachten wir zunächst die Änderung zu den Unverfallbarkeitskriterien und der Dynamisierung von unverfallbaren Anwartschaften. Danach wenden wir uns der Änderung bei der Abfindung gesetzlich unverfallbarer Kleinstanwartschaften zu.

Das Fallbeispiel:
Das Versorgungswerk wurde Anfang der 90er Jahre im Wege einer Betriebsvereinbarung eingeführt und zuletzt 2005 geändert. Es handelt sich um ein sogenanntes endgehaltsbezogenes Versorgungswerk, bei dem sich die Höhe der Alters- und Invalidenleistung nach dem Durchschnittsgehalt des einzelnen Arbeitnehmers in den letzten drei Jahren vor Eintritt des Versorgungsfalles richtet.

Im Unternehmen treten folgende Fallkonstellationen auf:

  • Arbeitnehmer A tritt zum 01.01.2008 im Alter von 25 Jahren ins Unternehmen ein und verlässt das Unternehmen zum 31.12.2017.
  • Arbeitnehmer B tritt zum 01.01.2009 im Alter von 25 Jahren ins Unternehmen ein und verlässt das Unternehmen zum 31.12.2018.
  • Arbeitnehmer C tritt zum 01.01.2017 im Alter von 18 Jahren ins Unternehmen ein und verlässt das Unternehmen zum 31.03.2021.
  • Arbeitnehmer D tritt zum 01.01.2018 im Alter von 18 Jahren ins Unternehmen ein und verlässt das Unternehmen zum 31.03.2021.

Geänderte Unverfallbarkeitsvoraussetzungen und Dynamisierung
Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung und Dynamisierung der Anrechte gilt hier Folgendes:

  • Arbeitnehmer A ist vor dem Inkrafttreten der Änderungen des Gesetzes zur Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie in das Unternehmen ein- und wieder ausgetreten. Für ihn ändert sich durch die Neuregelung nichts. Es gilt die Mindest-Zusagedauer von fünf Jahren und die Mindest-Altersgrenze von 25 Jahren. Beides ist hier erfüllt. Eine Dynamisierung seiner unverfallbaren Anwartschaften erfolgt ebenfalls nicht, weil diese vor dem 01.01.2018 erdient wurden.
  • Arbeitnehmer B ist vor dem Inkrafttreten der Änderungen des Gesetzes zur Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie eingetreten und nach dem Inkrafttreten ausgeschieden. Die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen hat er bereits nach altem Recht erfüllt. Im Hinblick auf die Dynamisierung seiner Anrechte hat er einen Anspruch, dass diejenigen Anrechte, die er ab dem 01.01.2018 erdient hat, dynamisiert werden.
  • Arbeitnehmer C ist ebenfalls noch vor dem Inkrafttreten der Änderungen ins Unternehmen eingetreten. Nach bisherigem Recht hätte aber die Zusage nicht ausreichend lange bestanden und auch die Mindest-Altersgrenze wäre nicht erreicht. Da aber die Versorgungszusage ab dem 01.01.2018 drei Jahren bestanden hat und im Ausscheidezeitpunkt das 21. Lebensjahr vollendet war, bleibt auch hier aufgrund der Übergangsvorschrift (§ 30f Abs. 3 Betriebsrentengesetz (BetrAVG)) die Versorgungszusage aufrechterhalten. Die unverfallbare Anwartschaft wird insoweit dynamisiert, als sie Anrechte betrifft, die ab dem 01.01.2018 erdient wurden.
  • Arbeitnehmer D tritt zum Zeitpunkt der Neuregelung ins Unternehmen ein, so dass für ihn die Anwartschaft aufrecht zu erhalten ist, wenn er das 21. Lebensjahr vollendet hat und die Zusage drei Jahre bestanden hat. Hier unterliegt die gesamte unverfallbare Anwartschaft der Dynamisierungspflicht.

Abfindung von Kleinstanwartschaften
Da das Anrecht des Arbeitnehmers D unterhalb der Abfindungsgrenze des § 3 BetrAVG liegt, möchte der Arbeitgeber dies einseitig möglichst zum Ausscheidezeitpunkt abfinden. Geht das?

Eine sofortige einseitige Abfindung geht nicht mehr. Denn wechselt der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum in einen anderen Mitgliedsstaat der EU, so kann die Abfindung nur mit Zustimmung des Versorgungsberechtigten abgefunden werden. Im Ergebnis hat der Arbeitgeber daher die Möglichkeit, entweder die Zustimmung des Arbeitnehmers einzuholen und sofort abzufinden. Oder er wartet ab, ob der Arbeitnehmer innerhalb von drei Monaten nach dem Ausscheiden mitteilt, dass er ein Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedsstaat der EU begründet hat und findet dann einseitig ab.

Fazit:

Ab dem 01.01.2018 gelten herabgesetzte Unverfallbarkeitsvoraussetzungen. Dabei ist auch für Altzusagen die entsprechende Übergangsvorschrift des § 30f Abs. 3 BetrAVG zu beachten, so dass auch hier ein schnellerer Eintritt der Unverfallbarkeit möglich ist (siehe Arbeitnehmer C).

Endgehaltsbezogene Versorgungssysteme, die beim Inkrafttreten der Richtlinie noch für den Neuzugang offen waren, müssen Anrechte, die ab dem 01.01.2018 erdient werden, dynamisieren. Dies bedeutet weiteren Verwaltungsaufwand, weil bei den einzelnen Arbeitnehmern gegebenenfalls zwischen den einzelnen Zeiträumen unterschieden werden muss (siehe Arbeitnehmer B und C). Arbeitnehmer, die jedoch vor dem 01.01.2018 mit unverfallbaren Anwartschaften ausgeschieden sind, haben weiterhin keinen Anspruch auf eine Dynamisierung (siehe Arbeitnehmer A).

Anzumerken ist, dass es wohl nicht mehr so viele offene endgehaltsbezogene Versorgungswerke geben wird. Die Auswirkungen zum Beispiel auf ein beitragsorientiertes Versorgungswerk werden wir in einer der nächsten Ausgaben besprechen.

Da die Unverfallbarkeitskriterien herabgesetzt werden, ist davon auszugehen, dass die Zahl der unverfallbaren (Kleinst-)Anwartschaften zunimmt. Somit stellt sich häufiger die Abfindungsfrage. Die sofortige einseitige Abfindung von Kleinstanwartschaften ist leider nicht mehr möglich. Ein Zuwarten von drei Monaten kann für den Arbeitgeber die Gefahr bergen, dass der Kontakt zum ehemaligen Arbeitnehmer abreißt. Arbeitgeber sollten daher gegebenenfalls überlegen, dem Arbeitnehmer eventuell direkt mit dem Ausscheiden ein Abfindungsangebot zu unterbreiten. Dann erfolgt die Abfindung einvernehmlich vor Ablauf der Drei-Monatsfrist.

Bernd Wilhelm, LL.M., Leiter Recht | Steuern, Longial