24. Februar 2021

Auswirkungen von Corona auf die Entwicklung der Pensionsrückstellungen in 2021

Die Corona-Pandemie beherrscht 2020 und 2021. Das Leben ist weitgehend heruntergefahren.

Die täglichen Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts dokumentieren die Entwicklung der Infektionszahlen. Die wirtschaftlichen Effekte sind nur zu erahnen, die weitere Entwicklung ist kaum vorhersehbar.

Diese Unsicherheit trifft auch Unternehmen mit Pensionsrückstellungen. Daher stellt sich die Frage, ob infolge der Pandemie Verwerfungen bei den Verpflichtungen und den damit verbundenen Kosten für die bAV zu erwarten sind.

Um einen Teil der Antwort vorwegzunehmen: Die langfristigen Effekte der Pandemie sind in allen Lebensbereichen kaum absehbar. Es wäre vermessen zu behaupten, man würde ausgerechnet für die bAV Gewissheit haben. Doch einige wirtschaftliche und statistische Kenngrößen lassen zumindest erahnen, auf was sich Unternehmen mit unmittelbaren Versorgungszusagen im Jahr 2021 einstellen müssen:

  • Rechnungszins
    Die Niedrigzinspolitik der großen Notenbanken und die expansive Ausweitung der Staatsschulden haben die Renditen für Unternehmensanleihen Anfang des Jahres auf neue Tiefstände gedrückt. Der über 10 Jahre geglättete Durchschnitt dieser Renditesätze bildet den Rechnungszins, mit dem Unternehmen handelsbilanzielle Rückstellungen für Pensionsversprechen bilden. Wenn sich am Marktumfeld nichts ändert, wird der Rechnungszins von 2,30 Prozent Ende 2020 über die nächsten Jahre auf unter 0,40 Prozent fallen. 

    Die jährliche Veränderung des Rechnungszinses schlägt sich für Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen unmittelbar in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) nieder. Für 2021 erwarten wir aktuell ein Absinken des Rechnungszinses von 2,30 Prozent auf 1,85 Prozent. Für typische Bestände von unmittelbaren Versorgungszusagen wird der Zinsänderungseffekt damit neue Höchststände erreichen und 20 Prozent bis 30 Prozent höher als im vergangenen Jahr ausfallen. 

    Und auch mittelfristig verheißt die Entwicklung nichts Gutes. Denn obwohl der Rechnungszins seit Einführung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) bereits deutlich von 5,25 Prozent auf 2,30 Prozent gefallen ist und die damit verbundenen Zinsänderungseffekte immens waren, sieht es derzeit danach aus, als ob der Großteil der Belastungen noch kommt. Der Grund: Bei niedrigen Zinssätzen wirkt jede weitere Absenkung überproportional stark.

    Die Zinsprognose der Longial zur Kurz- und langfristigen Entwicklung des HGB-Rechnungszinses finden Sie monatlich aktualisiert unter https://www.longial.de/informationen/rechnungszins/hgb/.

    Über eine Initiative des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e. V. (IVS) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zu einem Zinsmoratorium, das die Unternehmen deutlich entlasten könnte, hatte der Weitblick bereits berichtet. Vonseiten der Politik wurde der Vorschlag bisher nicht aufgegriffen.
     
  • Rentenanpassungen
    Eine Entlastung kann sich indes für Unternehmen ergeben, die bereits Renten aus unmittelbaren Versorgungszusagen zahlen. Arbeitgeber sind verpflichtet, solche Renten einer regelmäßigen Anpassungsprüfung zu unterziehen. Häufig erfolgt diese nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 des Betriebsrentengesetzes, das heißt, der Arbeitgeber gewährt einen Inflationsausgleich auf Basis der Entwicklung des Verbraucherpreisindex. Die Verpflichtung zur Rentenanpassung ist in den Pensionsrückstellungen miteingepreist. Typischerweise wird die Rückstellung mit einer Annahme für die künftige Rentenanpassung zwischen 1,50 Prozent bis 2,00 Prozent jährlich berechnet.

    Prognose: Rentenanpassung 2021 unter 1 Prozent
    Kurzfristig führt die Pandemie in Deutschland zu rückläufigen Preisen. Seit Juli 2020 ist der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Einen deutlichen Anteil hieran hat die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer, die Ende 2020 ausgelaufen ist. Doch auch ohne diesen Sondereffekt steigen die Preise in Deutschland derzeit allenfalls moderat. Die Rentenanpassung nach Verbraucherpreisindex wird in 2021 daher voraussichtlich deutlich niedriger ausfallen als in den Rückstellungen einkalkuliert. Der Aktuar spricht in solchen Fällen von versicherungsmathematischen Gewinnen, die die Kosten der Altersversorgung mindern.

    Nach unserer Einschätzung kann die Rentenanpassung 2021 – abhängig vom Monat der Anpassung und umgerechnet auf eine jährliche Anpassungsrate – bei weniger als 1,00 Prozent liegen.

    Beispiel
    Unternehmen A hat zum 31.12.2020 Pensionsrückstellungen von 5 Mio. Euro, davon entfallen 2 Mio. Euro auf laufende Renten. Die Rückstellung wurde mit einem langfristigen Rententrend von 1,75 Prozent jährlich berechnet. Die tatsächliche Anpassungsrate in 2021 liegt bei 1,00 Prozent. Dann führt dies grob geschätzt zu Gewinnen von rund 0,75 Prozent der Rückstellung für laufende Renten, also rund 15.000 Euro.

    Praxistipp
    Unternehmen, die ihre Pensionsrückstellungen noch mit einem besonders hohen langfristigen Rententrend von 2,00 Prozent jährlich oder höher bewerten, sollten zusammen mit ihrem Aktuar und Wirtschaftsprüfer besprechen, ob diese Annahme noch angemessen ist. Eine Absenkung kann zu deutlichen Entlastungen führen und damit den Effekten aus dem sinkenden Rechnungszins in 2021 entgegenwirken.
     
  • Anwartschaftstrends und Entwicklung der BBG
    So vielfältig die unmittelbaren Versorgungszusagen, so unterschiedlich sind die Auswirkungen der Pandemie auf die Anwartschaften. Über verschiedene Aspekte hatte der Weitblick bereits berichtet. Exemplarisch soll hier ein weiterer Aspekt aufgezeigt werden, der sich mathematisch gut darstellen lässt:

    Einige ältere gehaltsabhängige Versorgungsregelungen sehen eine sogenannte gespaltene Rentenformel vor. Dabei führen Gehaltsbestandteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der gesetzlichen Rentenversicherung zu höheren Rentenleistungen als Gehaltsbestandteile darunter. Die Idee ist hierbei, dass die Betriebsrente die Rentenlücke für Gehaltsbestandteile schließen soll, für die keine gesetzliche Rente gewährt wird. Die Bundesregierung geht im Rentenversicherungsbericht 2020 für das kommende Jahr unter dem Eindruck der Pandemie von einem Rückgang der BBG von 7.100 Euro auf 7.000 Euro aus, schränkt aber zugleich ein, dass die Annahmen zur mittelfristigen wirtschaftlichen Entwicklung von erheblicher Unsicherheit geprägt sind. Sollte es tatsächlich zu einer rückläufigen BBG kommen, wäre dies ein bisher einmaliger Vorgang. Für Zusagen mit gespaltener Rentenformel können sich hieraus deutliche Mehrbelastungen ergeben.

    Beispiel
    Die endgehaltsabhängige Versorgungszusage der Gesellschaft B sieht für Gehaltsbestandteile oberhalb der BBG doppelt so hohe Rentenleistungen vor wie für Gehaltsbestandteile darunter. Mitarbeiter C hat zum 31.12.2020 ein pensionsfähiges Gehalt von 7.500 Euro. Die maßgebliche BBG für die Berechnung der Pensionsrückstellung betrug zu diesem Zeitpunkt 7.100 Euro. In 2021 erhält C eine Gehaltsanpassung von 2 Prozent. Gleichzeitig fällt die BBG auf 7.000 Euro. Dann steigt der Rentenanspruch von C um über 5 Prozent an. Abhängig davon, welche langfristigen Trendannahmen der Rückstellungsberechnung zugrunde liegen, kann dies erhebliche versicherungsmathematische Verluste und damit Kosten in der GuV für 2021 bedeuten.
     
  • Beiträge zur Insolvenzsicherung
    Das Jahr 2021 könnte auch von deutlich steigenden Beiträgen zur Insolvenzsicherung der bAV an den Pensions-Sicherungs-Verein VvaG (PSVaG) geprägt sein. Die Beiträge ergeben sich jeweils aus der sogenannten Bemessungsgrundlage multipliziert mit dem Beitragssatz. Während die Bemessungsgrundlage in der Regel gut planbar ist, bemisst sich der Beitragssatz nach dem Insolvenzgeschehen im jeweiligen Jahr und ist damit starken Schwankungen unterworfen.

    Im langjährigen Mittel beträgt der Beitragssatz 2,8 Promille der Bemessungsgrundlage. In 2020 lag er mit 4,2 Promille bereits um 50 Prozent über diesem Mittelwert, obwohl die Bundesregierung zeitlich befristet die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt hat. Wie sich der Beitragssatz in 2021 entwickelt, ist nur schwer vorhersehbar. Entscheidend sind der weitere Verlauf der Pandemie, aber auch die weiteren Maßnahmen der Regierung zur Stützung der Unternehmen. Trotzdem steht zu befürchten, dass es in 2021 zu deutlich mehr Unternehmensinsolvenzen und damit einem Anstieg der PSVaG-Beiträge kommt. Entsprechend äußert sich auch Vorstandsmitglied Dr. Marko Brambach auf der Mitgliederversammlung des PSVaG am 30.11.2020: „Ein Ausblick auf die weitere Schadenentwicklung und damit auch auf den Beitragssatz des nächsten Jahres ist mit Blick auf die Verwerfungen durch die Covid-19 Pandemie und die Reaktionen des Gesetzgebers hierauf leider nicht möglich. Wir rechnen allerdings nicht damit, dass die Anzahl der uns treffenden Insolvenzen und insbesondere die Anzahl der uns treffenden Großschäden im nächsten Jahr niedriger liegen wird als in diesem. Wir befürchten eher, dass das Schadenvolumen noch weiter steigen wird.“
     
  • Übersterblichkeit
    In der Tagespresse wird zuletzt häufig die Übersterblichkeit durch die Pandemie thematisiert. Gemeint ist damit eine höhere Anzahl von Todesfällen, als dies auf Basis der Erfahrungen der vergangenen Jahre zu erwarten wäre. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht hierzu wöchentlich aktualisierte Sonderauswertungen mit vorläufigen Zahlen. Aus diesen Daten lässt sich ableiten, dass die Zahl der Todesfälle im Jahr 2020 tatsächlich höher lag als im Mittel des Vergleichszeitraums 2016 bis 2019. Außerdem zeigt sich im Verlauf des Jahres eine hohe Übereinstimmung zwischen der Übersterblichkeit und den gemeldeten Todesfällen, die im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion standen. 

    Effekte auf Pensionsverpflichtungen?
    Kann diese Übersterblichkeit auch Auswirkungen auf die Pensionsverpflichtungen aus unmittelbaren Pensionszusagen entfalten? Grundsätzlich ja, denn bei einer unmittelbaren Zusage trägt der Arbeitgeber die sogenannten biometrischen Risiken, sofern er diese nicht durch den Abschluss einer Rückdeckungsversicherung weitergereicht hat. Die Frage muss daher präziser lauten: Ist die beobachtete Übersterblichkeit so ausgeprägt, dass sich materielle Auswirkungen auf die Kosten der bAV ergeben? 

    Hier muss die Antwort heute ehrlicherweise lauten, dass dies noch nicht abschätzbar ist. Insbesondere die gesundheitlichen Langfristfolgen der Pandemie sind noch nicht bekannt. Zumindest im Hinblick auf das Jahr 2021 lohnt aber dennoch ein tieferer Blick in die vorliegenden Daten: Eine Übersterblichkeit führt bei Rentenbeziehern dazu, dass Renten durch den Arbeitgeber nicht so lange gezahlt werden wie ursprünglich auf Basis von statistischen Erfahrungswerten erwartet. Ganz anders sieht es hingegen bei einer Übersterblichkeit von Anwärtern aus: Hier führen Todesfälle häufig zu Hinterbliebenenleistungen, die die Kosten der Altersversorgung erhöhen. Grundsätzlich kann man daher sagen, dass eine Übersterblichkeit die Kosten der Altersversorgung sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann und die Effekte stark von der konkreten Ausgestaltung der Versorgungszusage abhängen.

    Die Sterblichkeit in Deutschland war nach den Daten des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 um etwa 5 Prozent erhöht. Eine Übersterblichkeit in diesem Umfang hat nach unserer Erfahrung in der Regel keinen materiellen Effekt auf die Kosten der bAV. So war beispielsweise auch im Jahr 2018 infolge einer Grippewelle die Sterblichkeit in Deutschland leicht erhöht, ohne dass ein spürbarer Einfluss auf die Kosten unmittelbarer Versorgungszusagen zu verzeichnen gewesen wäre.

    Die Fokussierung auf den Jahreswert kann im Zusammenhang mit der Pandemie aber zu kurz gegriffen sein. Steigt man tiefer in die Daten ein, erkennt man im vierten Quartal 2020 in zeitlichem Zusammenhang mit der zweiten Welle der Pandemie für Deutschland eine Übersterblichkeit von rund 16 Prozent, allein im Dezember sogar von rund 29 Prozent. Damit bewegt sich dieser Wert in einen Bereich, der zu Verwerfungen in den Pensionskosten führen kann. 

    Ein genauer Blick auf die Übersterblichkeit
    Entscheidend wird sein, wie lange die derzeit erhöhte Sterblichkeit andauert und wie das weitere Jahr 2021 verläuft. Dem vierten Quartal 2020 kommt auch deshalb eine Bedeutung für die Pensionskosten im Jahr 2021 zu, weil viele Unternehmen mit Bilanzstichtag am 31. Dezember von der Möglichkeit einer vorgezogenen Bestandsinventur Gebrauch machen. Die Effekte des vierten Quartals schlagen sich dann häufig erst im darauffolgenden Geschäftsjahr nieder.

    Regionale Unterschiede
    Eine Detailanalyse zeigt außerdem, dass die Übersterblichkeit im vierten Quartal lokal sehr unterschiedlich verteilt war. Für die norddeutschen Bundesländer ist beispielsweise kaum ein Effekt zu erkennen. Ganz anders hingegen in den ostdeutschen Bundesländern. In Sachsen lag die Übersterblichkeit sogar bei mehr als 50 Prozent. Nordrhein-Westfalen rangiert mit 12 Prozent Übersterblichkeit im Mittelfeld. Für die Pensionsrückstellungen eines Unternehmens kommt es daher stark darauf an, wo dieses ansässig ist beziehungsweise wo die aktiven und ehemaligen Mitarbeiter beheimatet sind.

    Welche Altersgruppen sind betroffen?
    Entscheidend ist außerdem, in welchen Altersgruppen die Übersterblichkeit wirkt. Hier zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein uneinheitliches Bild. Zwar sind die absoluten Fallzahlen bei den Älteren am höchsten, aber in dieser Altersgruppe liegt die Anzahl der Todesfälle auch in normalen Jahren hoch, sodass sich nicht automatisch eine deutliche Übersterblichkeit ergibt. 

    Bei den jüngeren Jahrgängen zeigen sich ganz unterschiedliche Entwicklungen, in manchen Altersgruppen liegen die Todesfälle sogar deutlich niedriger als im Vergleichszeitraum (am deutlichsten bei den 45- bis 50-Jährigen). Hier machen sich gegenläufige Effekte bemerkbar. So liegt beispielsweise die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr nach vorläufigen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes in 2020 um rund 10 Prozent unter dem Wert des Vorjahres.

    Dies verdeutlicht, dass die beobachtete Übersterblichkeit nicht gleichzusetzen ist mit der Sterblichkeit durch das Corona-Virus. Einschneidende Veränderungen unseres Alltagsverhaltens haben die Sterblichkeit ebenfalls maßgeblich beeinflusst und werden auch den weiteren Verlauf des Jahres 2021 prägen.

Fazit

Die Corona-Pandemie beeinflusst alle Lebensbereiche und auch die Entwicklung von Pensionsverpflichtungen in diesem Jahr. Der Verfall der Rechnungszinsen setzt sich beschleunigt fort. Eine niedrige Inflation kann zumindest temporär zu Entlastungen bei laufenden Renten führen. Die Folgen der Übersterblichkeit durch die Pandemie sind noch nicht absehbar.

Dr. Marcus Reich, Aktuar DAV | Sachverständiger IVS, Beratung & Prozesse, Longial
(Experte für die Bilanzierung von Pensions- und Personalverpflichtungen nach deutschem und internationalem Handelsrecht)