12. März 2025

Berücksichtigung einer arbeitsrechtlich unzulässigen Dynamisierungsklausel bei der Bildung von Pensionsrückstellungen

FG-Düsseldorf-Urteil vom 15.1.2024 – 6 K 2351/19 K


Ist die Höhe einer in der Steuerbilanz gebildeten Pensionsrückstellung zu korrigieren, falls sich nachträglich herausstellt, dass die maßgebliche Versorgungsordnung eine aus arbeitsrechtlicher Sicht unzulässige Anpassungsklausel enthält? Den Streit über diese Frage entschied das Finanzgericht (FG) Düsseldorf zugunsten des Arbeitgebers. Ein Erfordernis für eine Korrektur der Pensionsrückstellung sah es nicht.

Die 1%-Escape-Klausel ersetzte die Regelung zum Kaufkraftausgleich von Renten ...
Das Finanzgericht hatte darüber zu entscheiden, wie sich nach Änderung einer Versorgungsordnung die neue Dynamisierungsklausel auf die Berechnung der Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz auswirkt. Ursprünglich sah die Versorgungsordnung bezüglich der Rentenanpassung eine Regelung analog zu § 16 Abs. 1 BetrAVG (Betriebsrentengesetz) vor. Demnach hatte der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden (Kaufkraftausgleich). Nach ihrer Änderung im Jahr 2006 beinhaltete die Versorgungsordnung anstelle dieser Regelung eine einprozentige jährliche Garantieanpassung (vergleiche § 16 Abs. 3 BetrAVG). Der Änderung der Versorgungsordnung lag eine Betriebsvereinbarung zugrunde. Sie sollte für alle aus der Versorgungsordnung begünstigten Personen Wirksamkeit entfalten, also auch für Begünstigte, die schon ausgeschieden waren oder bereits eine laufende Leistung bezogen. Unter den betreffenden Versorgungszusagen befanden sich auch solche, die bereits vor dem 1.1.1998 erteilt worden waren.

... auch für Altzusagen, was die Finanzverwaltung nachträglich nicht anerkannte...
Die neue Anpassungsklausel fand im Anschluss bei der Berechnung der Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG Berücksichtigung. Die den begünstigten Personen zugesagte einprozentige jährliche Garantieanpassung führte insoweit im Vergleich zu der alten Anpassungsregelung – die nicht rückstellungswirksam war – zu einer höheren Pensionsrückstellung. Bei einer späteren Betriebsprüfung im Jahr 2014 wurde diese erhöhte Pensionsrückstellung – soweit sie auf Versorgungszusagen beruhte, die vor dem 1.1.1998 erteilt wurden – steuerlich nicht anerkannt. Die Finanzverwaltung vertrat die Auffassung, dass die Änderung der Versorgungsordnung im Jahr 2006 gegen geltendes Recht verstoßen hatte und damit unwirksam war. Die Ablösung einer Anpassungsregel nach § 16 Abs. 1 BetrAVG durch eine einprozentige jährliche Garantieanpassung für Versorgungszusagen, die die vor dem 1.1.1998 erteilt wurden, sei nämlich nach § 30c BetrAVG unzulässig. Darüber hinaus hätte den Betriebsparteien eine entsprechende Änderung der Versorgungsordnung – wenn sie denn nach dem BetrAVG zulässig gewesen wäre – nur im Hinblick auf aktive Belegschaftsmitglieder offen gestanden. Für Ausgeschiedene und Rentner war der Betriebsrat nach Auffassung der Finanzverwaltung hingegen nicht zuständig.

... aber von der Firma unter Hinweis auf ein Gutachten als zulässig erachtet wurde
Dass die betreffende Ablösung der Anpassungsregel seinerzeit arbeitsrechtlich unzulässig war, war im Jahr 2014 allerdings nicht mehr strittig. Zu diesem Ergebnis war der Arbeitgeber bereits Jahre zuvor selbst gekommen. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) in dieser Sache im Jahr 2011 entsprechend entschieden hatte, war die Versorgungsordnung bezüglich der Anpassungsregelung auch wieder in ihre ursprüngliche Form überführt worden. Strittig war aber, ob der Arbeitgeber im Jahr 2006 davon ausgehen musste, dass die vorgenommene Änderung nicht mit dem BetrAVG im Einklang stand. Während die Finanzverwaltung argumentierte, dass aus den Regelungen des § 30c BetrAVG der Gesetzesverstoß eindeutig erkennbar war, vertrat der Arbeitgeber die gegenteilige Auffassung. Er sah bei der Auslegung des § 30c BetrAVG offenbar Spielraum. Er gründete seine Einschätzung auf Zulässigkeit der Änderung der Versorgungsordnung im Wesentlichen auf ein Gutachten eines ehemaligen BAG-Richters. Nachdem er aber – so argumentierte der Arbeitgeber – im Jahr 2006 davon habe ausgehen müssen, eine wirksame Änderung der Versorgungsordnung herbeigeführt zu haben, dann kann es nachträglich auch keinen Grund für eine Korrektur der damaligen Steuerbilanz geben.

Dem stimmt das FG zu, da die Unzulässigkeit nicht erkennbar gewesen sei ...
Dieser Argumentation ist das FG im Kern gefolgt. Handelsrechtlich wie steuerrechtlich sei die Bildung von Rückstellungen geboten, wenn und soweit ein ordentlicher Kaufmann nach den am Bilanzstichtag objektiv gegebenen und bis zur Bilanzaufstellung subjektiv erkennbaren Verhältnissen ernsthaft damit rechnen muss, dass eine Verbindlichkeit besteht. Die für eine Rückstellungsbildung erforderliche Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme sei gegeben, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen. Im vorliegenden Fall seien diese Voraussetzungen erfüllt. Denn der Arbeitgeber hat nach Ansicht des FG nach Schließung der Betriebsvereinbarung davon ausgehen können, dass die mit der geänderten Versorgungsordnung eingegangene Verpflichtung von Bestand ist. Dies ergäbe sich zum einen aus dem vorliegenden Gutachten. Zum anderen sei auch an den späteren, verschiedenen arbeitsrechtlichen Verfahren zu diesem Thema, deren mehrfacher Zulassung zur Revision und der Tatsache, dass erst im Jahr 2011 mit der höchstrichterlichen Entscheidung des BAG eine endgültige Entscheidung vorlag, erkennbar, dass die Rechtslage keinesfalls so eindeutig war, wie die Finanzverwaltung dies darstelle. Nach Ansicht des FG ist in dem Urteil des BAG im Jahr 2011 ein im steuerlichen Sinne wertbegründender (also nicht lediglich ein werterhellender) Umstand eingetreten. Ein solcher Umstand mache eine nachträgliche Korrektur der Steuerbilanz nicht erforderlich.

... und da trotz Verstoß gegen das BetrAVG ein Rechtsanspruch bestanden hätte
Ein Erfordernis der Korrektur ergibt sich nach Ansicht des FG im Übrigen auch nicht daraus, dass § 6a EStG einen bestehenden Rechtsanspruch zur Voraussetzung für die Rückstellungsbildung mache. Denn diese Forderung bedeute nicht, dass ein Rechtsanspruch am Bilanzstichtag zweifelsfrei feststehen müsse. Es sei vielmehr hinreichend, dass eine vertragliche Grundlage für die betreffende Verpflichtung besteht, über die der Arbeitgeber nicht mehr allein disponieren könne. Die vorliegende Betriebsvereinbarung war in den Augen des FG eine solche Grundlage. Schließlich gibt das FG zu bedenken, dass fraglich ist, ob der Einwand der Finanzverwaltung trägt, wonach der Betriebsrat für Ausgeschiedene und Leistungsempfänger nicht zuständig sein konnte. Denn auch in dieser Frage habe es – zumindest damals – unterschiedliche Meinungen gegeben.

Fazit:

In dieser Sache ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Verfahren ist nunmehr beim Bundesfinanzhof (BFH) in Revision anhängig. Ob der BFH sich der Auffassung des FG anschließen wird, bleibt abzuwarten. Sicher scheint dies keineswegs. Denn die Argumentation des FG wirkt diskussionswürdig. Dass im vorliegenden Fall im Jahr 2006 mehr Gründe dafür als dagegen gesprochen haben sollen, dass die Anpassungsregelung in der hier gewünschten Weise auch für solche Zusagen geändert werden kann, die vor dem Jahr 1998 erteilt wurden, überzeugt – trotz der umfangreichen Begründung des Urteils – nicht vollends. Auch ob die verschiedenen Verfahren, die vor den Arbeitsgerichten in dieser Sache geführt wurden, per se als Indiz für eine unklare Rechtslage zu werten sind, scheint fraglich: Dies geschah im Übrigen wohl teils erst nach dem Jahr 2006 und kann daher die Entscheidung der Firma im Jahr 2006 naturgemäß nicht beeinflusst haben.

i Was ist zu tun?

  • „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ Dieses Sprichwort zitiert das FG in amüsanter Weise in seiner Urteilsbegründung selbst. Idealerweise lässt man es aber nicht so weit kommen. Liegt eine – nach eigener Auffassung – unklare Rechtslage vor, sollte man vorsichtig agieren. Soweit mit der betreffenden Frage auch steuerliche Implikationen verbunden sind, sollte erwogen werden, die Finanzverwaltung um ihre Einschätzung zu ersuchen, bevor man sich für die Einrichtung beziehungsweise Änderung einer Versorgungsordnung entscheidet. Hierfür besteht zum Beispiel die Möglichkeit, eine Auskunft mit Bindungswirkung nach Treu und Glauben (verbindliche Auskunft) gem. § 89 Abs. 2 AO einzuholen.

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de 


Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Recht, Steuern & VTM, Longial