06. Dezember 2023

Betriebliche Invaliditätsrente und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

BAG-Urteil vom 10.10.2023 – 3 AZR 250/22


Erneut hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Versorgungszusagen unter Einschluss von Invaliditätsleistungsklauseln beschäftigt, bei welchen die Zahlung einer Leistung vom Ausscheiden des Mitarbeiters abhängig gemacht wird.

Der Fall
Aufgrund eines Bescheids der Deutschen Rentenversicherung Bund vom Januar 2021 bezog der klagende Arbeitnehmer auf seinen Antrag vom Mai 2020 mit Wirkung des 1.11. 2020 befristet bis zum 31.8.2022 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Im Januar 2021 wandte er sich unter Vorlage des Bescheids an die beklagte Arbeitgeberin und beantragte die Gewährung der betrieblichen Invaliditätsrente mit sofortiger Wirkung. Die zugrunde liegende Versorgungszusage setzte allerdings für die Gewährung von Leistungen das Ausscheiden aus den Diensten des Arbeitgebers voraus. Das Arbeitsverhältnis wurde erst zum 31.3.2022 beendet, so dass die Arbeitgeberin erst ab diesem Zeitpunkt die betriebliche Invaliditätsrente zahlte. Damit war der Arbeitnehmer nicht einverstanden, sondern begehrte diese bereits ab Januar 2021. 

Die Entscheidung des BAG
Der Arbeitnehmer unterlag beim BAG. 

Grundsätzliche Zulässigkeit der Interdependenz von Leistungen und Ausscheiden 
Das Gericht stellte hier klar, dass ein Arbeitgeber befugt ist, die Leistung in einer Versorgungsordnung mit vorformulierten Vertragsbedingungen (AGB) grundsätzlich davon abhängig zu machen, dass der Arbeitnehmer eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bezieht und rechtlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. 

Unterscheidung von rechtlichem und tatsächlichem Ausscheiden
Bereits in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2021 (BAG vom 23.3.2021, 3 AZR 99/20 und BAG vom 13.7.2021, 3 AZR 298/20) hatte das BAG betont, dass unter „Ausscheiden“ sowohl das „Ausscheiden im Sinne einer rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ gemeint sein kann, aber auch „das faktisch tatsächliche Ausscheiden im Sinne eines Ruhens der beiderseitigen Hauptleistungspflichten nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen bis hin zum sogenannten Aussteuern im Sinne von § 48 SGB V“. Das BAG führte aus, dass die „Ausscheidensklauseln in Versorgungszusagen … jedenfalls bei betrieblichen Invaliditätsversorgungen den Sinn“ haben, sicherzustellen, dass nicht gleichzeitig Ansprüche auf Arbeitsvergütung einerseits und Ruhegeld andererseits entstehen. Solche Doppelansprüche seien „indes nicht nur ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet ist, sondern schon dann, wenn es für die Dauer des Bezugs der Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrente ruht.“ Im konkreten Fall bejahte das BAG nach eingehender Auslegung der Versorgungsordnung, dass ein Ausscheiden aus dem Unternehmen nicht die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraussetze, sondern das Ruhendstellen des Arbeitsverhältnisses genügt.

In der anderen Entscheidung stellte das BAG hinsichtlich der Überprüfung der einschlägigen Klausel fest, dass nicht mehr uneingeschränkt auf das Ausscheiden der versorgungsberechtigten Person aus dem Arbeitsverhältnis als wesentliches Merkmal der Invaliditätsversorgung abzustellen ist, sondern entscheidend für die betriebliche Invaliditätsversorgung die Absicherung der Gefahr von Einkommensverlusten sei. 

Kehrtwende des BAG durch die neuerliche Rechtsprechung oder „jeder Fall liegt anders“
Im jetzt entschiedenen Fall ist das BAG durch Auslegung der Klausel in der Versorgungszusage zu dem Ergebnis gelangt, dass die zugrunde liegende Versorgungsordnung das rechtliche Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis für einen Anspruch auf das betriebliche Ruhegeld voraussetzt. Die der Inhaltskontrolle unterliegende Regelung benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben. Es ist im Grundsatz nicht unzumutbar, die Zahlung einer betrieblichen Invaliditätsrente davon abhängig zu machen, dass eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente bewilligt und das Arbeitsverhältnis beendet ist. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen wird dadurch kein unzumutbarer Druck auf den Arbeitnehmer zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, wie die jetzige Entscheidung im Hinblick auf das Erfordernis des rechtlichen Ausscheidens im Einzelnen begründet wird. Momentan liegen noch keine Entscheidungsgründe vor. Für die weitere Frage der „Unzumutbarkeit“ spielt möglicherweise auch eine Rolle, dass der Zeitraum zwischen Antragstellung auf eine Rente und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht besonders lang war. So wurde hier eine Zumutbarkeit der Beendigung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen angenommen.

Anja Sprick, Justiziarin, Recht | Steuern, Longial