24. Februar 2021
Die Fünftelungs-Regelung nach § 34 EStG: Was macht Einkünfte „außerordentlich“? (BFH-Urteile vom 6.5.2020 – X R 24/19 und X R 7/19)
Der Sinn und Zweck der Fünftelungs-Regelung
§ 34 Einkommensteuergesetz (EStG) sieht vor, dass die Einkommensteuer, die auf bestimmte außerordentliche Einkünfte anfällt, nach einem besonderen Verfahren (sogenannte Fünftelungs-Regelung) zu bemessen ist. Dazu wird die Einkommensteuer ermittelt, die auf die außerordentlichen Einkünfte anfallen würde, wenn sie nur 1/5 ihrer tatsächlichen Höhe hätten. Damit wird die Besteuerung in den meisten Fällen in einen Bereich mit niedrigerem Steuersatz verschoben. Dieser niedrigere Steuersatz ist aber auf die ganzen außerordentlichen Einkünfte zu entrichten, daher wird der ermittelte Steuerbetrag für 1/5 der Einkünfte dann mit 5 multipliziert.
Im Ergebnis wird so eine Progressionsminderung bewirkt. Diese kann erheblich sein. Das Interesse der Empfänger von einmaligen Kapitalleistungen, die Fünftelungs-Regelung in Anspruch nehmen zu können, ist daher groß.
Als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG kommen nach dem Gesetz unter anderem Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht. Leistungen der bAV werden meist über viele Beschäftigungsjahre erdient und stellen deswegen in aller Regel eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit dar. Doch in welchen Fällen sind Einmalzahlungen tatsächlich „außerordentlich“? Diese Frage beschäftigt den BFH seit einiger Zeit– wie im Weitblick mehrfach berichtet (siehe hier und hier).
Die bisherigen Meinungen zur Anwendbarkeit des § 34 EStG
Während die Finanzverwaltung in den Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) bis heute allein eine Unterscheidung nach Durchführungswegen vornimmt und dabei insbesondere Leistungen einer Direktversicherung, einer Pensionskasse oder eines Pensionsfonds vom Geltungsbereich des § 34 EStG ganz ausschließen will, vertritt der BFH seit einiger Zeit eine differenziertere Sichtweise. Außerordentlich, so die Meinung des BFH, ist eine Einmalzahlung, wenn sie für „den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch“ ist. Dass die Zahlung eines einmaligen Kapitals (also keiner Rente) an sich nicht notwendigerweise ein Indiz für einen atypischen Verlauf einer Versorgung darstellt, hatte der BFH bereits in einer früheren Entscheidung ausgeführt. In dem damals entschiedenen Fall ließen die Bedingungen der Pensionskasse die Zahlung eines einmaligen Kapitals anstelle einer lebenslangen Rente ausdrücklich zu. Hiervon war bei Eintritt des Versorgungsfalls dann Gebrauch gemacht worden. Der BFH konnte hierin keinen atypischen Verlauf erkennen (BFH-Urteil vom 20.9.2016 – X R 23/15).
Statistische Daten als Kriterium für einen atypischen Verlauf
Mit der Frage, ob womöglich bei vorzeitiger Kündigung einer Pensionskassen-Versorgung die Sache anders zu beurteilen wäre und insoweit ein atypischer Verlauf anzunehmen ist, der die Anwendung der Fünftelungs-Regelung zulässt, hatte sich der BFH nun in einem weiteren Verfahren zu befassen (BFH-Urteil vom 06.05.2020 – X R 24/19). Dabei war die betreffende Pensionskassen-Versorgung auf Wunsch der begünstigten Person im laufenden Dienstverhältnis gegen Zahlung des Rückkaufswertes der Versicherung aufgehoben worden. Die Vorinstanz sah hierin einen atypischen Verlauf, weil die Auszahlung vor Erreichen der vertraglichen Altersgrenze erfolgte, und zum anderen, da sie den Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes (Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG) nach Ansicht des Gerichtes zuwiderlief.
Letzteres war, wie der BFH feststellte, aber gar nicht der Fall. Denn das BetrAVG schließt Abfindungen im laufenden Arbeitsverhältnis keineswegs aus. Das Abfindungsverbot des BetrAVG betrifft allenfalls Zahlungen nach einem Dienstaustritt. Auch wollte der BFH das Argument nicht gelten lassen, wonach eine vor Erreichen der Altersgrenze erbrachte Leistung per se stets eine atypische Leistung darstellen würde. Soweit die Vorinstanz hier angenommen habe, eine solche vorzeitige Leistung würde keinem Versorgungszweck im engeren Sinne dienen, hätte sie unberücksichtigt gelassen, dass auch im Versorgungsfall erbrachte Einmalzahlungen vom Begünstigen nicht notwendigerweise einem Versorgungszweck zugeführt werden müssen – also einfach ausgegeben werden können. Es gäbe, so der BFH, daher keine Begründung dafür, vorzeitige und auf das Pensionsalter aufgeschobene Leistungen diesbezüglich zu unterscheiden.
Ob in dem Streitfall ein atypischer Verlauf der Versorgung vorlag oder nicht, hat der BFH letztlich nicht entscheiden wollen. Das Finanzgericht hatte dazu den Sachverhalt nach seiner Auffassung nicht ausreichend festgestellt. Hierzu heißt es in der Urteilsbegründung, dass der Senat „mangels statistischen Materials nicht beurteilen [könne], ob es nur in atypischen Einzelfällen zur Kapitalabfindung bei Rentenbeginn bzw. zur vorzeitigen Beendigung von Versicherungsverträgen aus dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung durch Kündigung oder sonstige Aufhebung verbunden mit der Auszahlung des Rückkaufswertes kommt oder nicht". An derartigen statistischen Daten will der BFH demnach sein Kriterium der Atypik festmachen. Diese hat die Vorinstanz nun zu erheben.
Der Zeitpunkt der Zahlung ist nicht entscheidend
In ähnlicher Weise äußerte sich der BFH am gleichen Tage zu einem weiteren Fall (BFH-Urteil vom 06.05.2020 – X R 7/19). Hier wurde das Verfahren ebenfalls an die Vorinstanz zurückverwiesen, damit bei der Urteilsfindung nachträglich auch die erwähnten statistischen Daten Berücksichtigung finden können. Das ist insoweit interessant, als der Vorgang einige Parallelen zu dem Verfahren vom 20.9.2016 (X R 23/15) aufwies. Auch hier wurde eine Altersversorgung bei Eintritt des Versorgungsfalls (wenn auch vorgezogen) als Einmalzahlung aus einem Pensionskassen-Versorgungswerk in Anspruch genommen, das bereits eine Kapitalisierungsoption enthielt. Dies allein will der BFH – in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung – also nicht mehr als zwingendes Ausschlusskriterium für die Außerordentlichkeit einer Leistung gelten lassen. Auch solche Einmalzahlungen können, unter Würdigung der erwähnten statistischen Daten, atypisch sein.
Fazit
Nach Ansicht des BFH kommt es bei der Beurteilung, inwieweit eine Einmalzahlung im Bereich der bAV außerordentlich im Sinne von § 34 EStG ist, entscheidend darauf an, ob diese für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch ist. Dies ist in erster Linie anhand statistischer Daten festzumachen. Andere Aspekte, wie etwa die Frage, ob das jeweilige Versorgungswerk eine Kapitalisierung vorsieht oder aus welchem Anlass die Einmalzahlung tatsächlich begehrt wurde, spielen hingegen – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Auch der Zeitpunkt der Zahlung hat nachrangige Bedeutung. Der BFH will diesbezüglich im Übrigen alle versicherungsförmigen Durchführungswege in gleicher Weise behandelt wissen.
i Was ist zu tun?
- Für Versorgungsträger sind die Ausführungen des BFH wenig befriedigend. Denn man fragt sich, wie konkret auf Basis welcher statistischen Daten denn nun wirklich eine Atypik belegt werden kann. Man würde sich wünschen, dass die Finanzverwaltung das leidige Thema endlich in seinenVerwaltungsweisungen neu aufgreift und hier einen Rahmen vorgibt. In der Zwischenzeit dürfte, ausVorsichtsgründen, Versorgungsträgern nichts anderes übrigbleiben, als in den versicherungsförmigen Durchführungswegen weiterhin auf die Anwendung des § 34 EStG grundsätzlich zu verzichten – undabzuwarten, wie sich weitere Verfahren entwickeln, mit denen sich die Finanzgerichte künftig mitSicherheit befassen werden.
Weitere Infos unter: weitblick@longial.de
Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Versorgungsträger-Management, Longial
(Experte für Stellungnahmen mit rechtlichem und steuerlichem Hintergrund insbesondere im Rahmen der Verwaltung von Unterstützungskassen und für deren Jahresabschluss)