02. Dezember 2020
Ein Blick zurück – ein Ausblick in die Zukunft
2020 ist ein Jahr, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen sind, trotz staatlicher Rettungspakete, Unterstützungs- und Überbrückungsleistungen, nicht absehbar. Hat das auch Auswirkungen auf die bAV? Was war und ist neben der Pandemie für die bAV wichtig, was wird 2021 kommen?
Weitblick: Mit großer Begleitmusik und hohen Erwartungen ist Anfang 2018 das Sozialpartnermodell als Herzstück des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) ins Leben gerufen worden. Seitdem ist es hier ruhig. Woran liegt das?
Michael Hoppstädter: Das erste Sozialpartnermodell steht wohl kurz vor dem Abschluss, wie Mitte November bekannt wurde. Hier ist ein Haustarifvertrag die Grundlage. Aber ansonsten ist es um das mit hohen Erwartungen 2018 ins Leben gerufene Sozialpartnermodell leider weiterhin ruhig. Die reine Beitragszusage, die nur über das Modell zur Verfügung steht, kam somit bisher nicht zum Einsatz. Die verpflichtende Bindung an einen Tarifvertrag ist für kleine und mittlere Betriebe, sogenannte KMU, ein Hindernis, weil diese häufig nicht tarifgebunden sind. Vielleicht ist der Abschluss des ersten Haustarifvertrages zum Sozialpartnermodell aber auch für andere Unternehmen die Initialzündung, sich mit den Möglichkeiten eines Sozialpartnermodells zu beschäftigen. Mediale Aufmerksamkeit wäre den Unternehmen gewiss.
Weitblick: Ein weiterer Schwerpunkt des BRSG ist die Förderung der Altersversorgung von Geringverdienern. War hier 2020 – analog zum Sozialpartnermodell – ebenfalls eine Stagnation zu beobachten?
Michael Hoppstädter: Die 2020 im Rahmen des Grundrentengesetzes beschlossene Anhebung des bAV-Förderbetrags, der monatlichen Einkommensgrenze sowie der steuerfreien Arbeitgeberbeiträge sind ein wichtiges sozialpolitisches Signal dafür, dass vor allem die Altersvorsorge von Geringverdienern in den Blick genommen wird. Gerade die Förderung nach § 100 Einkommensteuergesetz ist eine unbürokratische Lösung, von der schon weit mehr als 700.000 Arbeitnehmer profitieren. Allerdings zeigt sich, dass bisher eher Großunternehmen diese Förderung nutzen als kleine und mittlere Betriebe – analog zur sonstigen Verbreitung der bAV. KMU sollten auf diesen Zug aufspringen, damit deren Arbeitnehmer auch verstärkt von der Versorgung profitieren.
Weitblick: Im Sommer reagierte der Gesetzgeber mit einer neuen gesetzlichen Insolvenzsicherung sehr schnell auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Ein Arbeitgeber, dessen Pensionskassenversorgung unterdotiert war, hat Insolvenz angemeldet. Der EuGH sah den Pensions-Sicherungs-Verein V. V. a. G. (PSVaG) in der Pflicht. Muss jetzt jeder Arbeitgeber, der seine bAV über eine Pensionskasse durchführt, Beiträge zur gesetzlichen Insolvenzsicherung zahlen?
Michael Hoppstädter: Die Beitragspflicht ist abhängig von der Ausprägeform der Pensionskasse. Insoweit können viele Arbeitgeber aufatmen. Vor allem diejenigen, die mit sogenannten deregulierten Pensionskassen arbeiten. Die Pensionskassen, die vor dem Hintergrund des Altersvermögensgesetzes ab 2001 von Lebensversicherern gegründet wurden, sind meist „dereguliert“ beziehungsweise nutzen „deregulierte“ Abrechnungsverbände. Darüber hinaus sind diese Pensionskassen freiwillig der Sicherungseinrichtung „Protektor“ beigetreten, die eine zusätzliche Insolvenzsicherung der Pensionskasse gewährleistet. Diese Pensionskassen bleiben von der Beitragspflicht beim PSVaG ausgenommen.
Die neue gesetzliche Insolvenzsicherung entfaltet damit insbesondere bei Firmenpensionskassen und den überbetrieblichen Branchenpensionskassen Wirkung. Hier kommen zusätzliche Kosten auf die Arbeitgeber ab 2022 zu, da bis 2021 Sonderregeln für die Bemessung des PSVaG-Beitrags gelten.
Insgesamt kann man aber sagen, dass die Neuregelung zur Beitragsbemessung bei externen Versorgungsträgern einen Schritt in Richtung eines risikoadäquaten Beitragssatzes darstellt. Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, wenn Beiträge an den PSVaG generell risikoorientiert ermittelt werden. Einen ausführlichen Überblick über das Thema bietet ein Fachbeitrag im personalmagazin.
Weitblick: Der Gesetzgeber hat nicht nur die gesetzliche Insolvenzsicherung für Pensionskassen auf den Weg gebracht, sondern zugleich auch eine Entscheidung zur versicherungsvertraglichen Lösung gefällt. Was bedeutet das in der Praxis?
Michael Hoppstädter: Dass die versicherungsvertragliche Lösung bei Direktversicherungen und Pensionskassen als Standard gesetzlich verankert wurde, ist endlich einmal ein Schritt, Komplexität in der bAV zu reduzieren. Sie erleichtert den Unternehmen die Abläufe beim Ausscheiden eines Mitarbeiters mit bAV-Anwartschaft. Der zeitliche Druck, innerhalb von drei Monaten nach Ausscheiden die versicherungsvertragliche Lösung mit allen Beteiligten umzusetzen, und der sachliche Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Mitarbeiters erübrigt sich damit. Für die Verwaltung bedeutet dies eine Erleichterung.
Weitblick: Schon seit längerem stehen die Pensionskassen im Fokus der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Fast jede dritte Kasse wurde „in Manndeckung genommen“, wie die BaFin es formuliert hat. Was bedeutet, dass die BaFin hier genauer hinschaut und enger beaufsichtigt. Davon betroffen sind 2,8 Millionen künftige und derzeitige Betriebsrentner. Mit den weiterhin sehr niedrigen Zinsen sowie einem vermutlich starken Anstieg an Unternehmensinsolvenzen bleibt das wirtschaftliche Umfeld jedoch auch 2021 weiter schwierig für die Kassen. Wie sehen Sie die Auswirkungen für Arbeitgeber, die ihre Versorgung über eine Pensionskasse geregelt haben?
Michael Hoppstädter: Bei einigen Kassen kann es erforderlich werden, dass der Arbeitgeber als Träger stärker in Pflicht genommen wird, um Leistungskürzungen für Betriebsrentner und Anwärter zu verhindern oder auszugleichen. Das geht zum Beispiel über sogenannte Sanierungsbeiträge beziehungsweise über zusätzliche Zahlungen zum Deckungskapital der Pensionskassen, die der Arbeitgeber leisten muss. Reicht das nicht, oder reduziert die Pensionskasse die Versorgungsleistungen, muss der Arbeitgeber die Differenz zu der ursprünglich zugesagten Leistung ausgleichen. Das bedeutet, dass die Unternehmen einerseits die Differenzrenten tatsächlich auch auszahlen und andererseits Pensionsrückstellungen bilden müssen. Ich befürchte, dass das vielen Unternehmen nicht bewusst ist.
Sollte der Arbeitgeber die Nachschussverpflichtung nicht wahrnehmen können, weil er Insolvenz angemeldet hat, dann sind jetzt mit der schon angesprochenen Neuregelung zur gesetzlichen Insolvenzsicherung die Zusagen über den PSVaG abgesichert.
Weitblick: Trägt der PSVaG – und damit alle Beitragszahler – nicht ein Risiko, für das er bislang gar keine Beiträge erhalten hat?
Michael Hoppstädter: Das ist schon richtig, daher hat der Gesetzgeber hierfür erstmal eine Übergangslösung geschaffen. Für Unternehmensinsolvenzen vor dem 31.12.2021 gilt, dass der PSVaG nur einspringt, wenn die Pensionskassenleistung um mehr als 50 Prozent gekürzt wird oder der betroffene Betriebsrentner selbst bei einer geringeren Kürzung unter die Armutsgefährdungsschwelle fallen würde. Also unter 1.074 Euro monatlich beziehungsweise 2.256 Euro monatlich bei einem Mehrpersonenhaushalt. Das entspricht den Vorgaben des EuGH. Die Kosten dafür trägt der Bund im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung mit dem PSVaG. So werden dessen Mitglieder nicht mit diesen Altfällen über den PSVaG-Beitrag belastet. Ab 2022 übernimmt der Verein dann den kompletten Schutz der Betriebsrenten der Versorgungsberechtigten. Übrigens: Welche Auswirkungen eine Insolvenz auf die anderen Durchführungswege der bAV hat, zeigt unser „Praxis“-Artikel.
Weitblick: Das niedrige Zinsniveau betrifft auch die Lebensversicherungen. Es wird für sie immer schwieriger, ihr Geld am Kapitalmarkt gewinnbringend anzulegen. Daher stand zur Diskussion, den Höchstrechnungszins für Neuverträge abzusenken. Was ist hier 2021 zu erwarten?
Michael Hoppstädter: Aktuell liegt der Höchstrechnungszins für Neuverträge in der klassischen Lebensversicherung bei 0,9 Prozent. Und dabei bleibt es auch 2021. Nun scheint es auf einen Höchstrechnungszins von 0,25 Prozent hinauszulaufen, wobei unklar ist, ab wann dieser gilt – zum 1.7.2021 oder, was ich persönlich für wahrscheinlicher halte, zum 1.1.2022. Dazu muss man natürlich berücksichtigen, dass das nur für neue Verträge gilt, die nach der Umsetzung abgeschlossen werden. Alle bestehenden Verträge – sowohl private als auch der bAV – bleiben unberührt. Insofern entlastet das die Versicherer nur im Neugeschäft.
Für die bAV ergeben sich daraus aber neue Fragen, die bis heute noch nicht geklärt sind. Mit einem Rechnungszins von 0,25 Prozent ist auch bei Verträgen mit langen Laufzeiten von mehr als 25 Jahren die aktuell gesetzlich vorgeschriebene Bruttobeitragsgarantie nicht darstellbar. Das gilt im Übrigen auch für die Riester-Rente. Daher muss die Absenkung des Rechnungszinses nach unserer Einschätzung auch mit Änderungen des Betriebsrentengesetzes einhergehen. Darin könnte zum Beispiel die Garantie für die Beitragszusage mit Mindestleistung und auch für die beitragsorientierte Leistungszusage auf 80 Prozent der gezahlten Beiträge reduziert werden. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, aktiv zu werden.
Weitblick: Der vereinfachte Bezug von Kurzarbeitergeld wurde bis Ende 2021 verlängert. Was bedeutet das für betroffene Unternehmen mit bAV-Verpflichtungen?
Michael Hoppstädter: Egal ob das Unternehmen der Belegschaft eine arbeitgeberfinanzierte bAV, eine Versorgung über ältere Versorgungswerke, Entgeltumwandlungsmodelle oder versicherungsförmige Lösungen anbietet: Sobald Kurzarbeit beantragt wurde, sollte der Arbeitgeber umgehend aktiv werden. Entweder können mit den Arbeitnehmern oder mit den Versicherern Regelungen getroffen werden, die leistungsmindernde Auswirkungen abfedern können. Pauschale Lösungen gibt es hier nicht, jede sollte individuell auf die vereinbarte Versorgung angepasst werden.
Weitblick: Endlich rückt ein säulenübergreifendes Renteninfoportal näher: Ab Herbst 2023 sollen sich Verbraucher über den Stand ihrer gesetzlichen, betrieblichen und privaten Rente und damit auch über mögliche Lücken in ihrer Altersvorsorge informieren können. Wie sehen Sie das geplante Portal?
Michael Hoppstädter: Zu wissen, wie viel im Alter fehlt, wird helfen, die Altersvorsorge gezielter planen zu können. Das ist ausdrücklich zu begrüßen und zu unterstützen. Für die bAV sind noch eine Reihe von Fragen offen. Es wird noch viele Jahre dauern, bis die Bürger tatsächlich eine lückenlose Renteninformation über sämtliche Bausteine der Altersversorgung in Händen halten können, mit der dann punktgenau die Versorgungslücke errechnet und geschlossen werden kann. Aber nochmal – der erste Schritt in die richtige Richtung ist gemacht. Weiter so und dranbleiben.
Weitblick: Wir alle haben dieses Jahr erlebt, wie schnell Prognosen an der Realität scheitern. Dennoch die Frage: Was ist im Jahr 2021 rund um die bAV zu erwarten?
Michael Hoppstädter: Ein wesentlicher Aspekt für alle Unternehmen wird – völlig losgelöst von der bAV – sein, wie einschneidend die Folgen der Corona-Pandemie ausfallen. In der „bAV-Blase“ wird auf das erste Sozialpartnermodell gewartet. Wir hoffen, dass sich das Bundesverfassungsgericht zum Rechnungszins für die steuerliche Bewertung von Pensionsverpflichtungen äußert. Je nachdem, wie das Urteil ausfällt, wird sich die neue Bundesregierung damit befassen müssen. Und die Diskussion um den Höchstrechnungszins für Lebensversicherer wird wie gesagt auch die bAV-Welt betreffen. Es bedarf auch einer Anpassung des Betriebsrentengesetzes – um nicht zu sagen, eine Anpassung ist zwingend erforderlich, wenn der Rechnungszins auf 0,25 Prozent abgesenkt wird.
Unabhängig von den bAV-spezifischen Themen wünsche ich allen Unternehmen, allen Lesern und deren Familien, dass sie gut durch die Pandemie kommen – bleiben Sie gesund.
Weitblick: Vielen Dank für das Gespräch.