15. Februar 2017

Einführung versicherungsmathematischer Abschläge kann Eingriff in künftige, dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge darstellen

(BAG-Urteil vom 13.10.2016 – 3 AZR 439/15)

 

Mal wieder hat sich das BAG mit der Ablösung von Versorgungen beschäftigt und nun festgestellt, dass auch solche Parameter, die unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Versorgungsleistung haben, anhand des dreistufigen Prüfungsschemas zu prüfen sind.


Der Fall:
Der Kläger bezieht eine vorzeitige Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und eine mit versicherungsmathematischen Abschlägen versehene Altersrente aus der betrieblichen Versorgung. Grundlage seiner Versorgung war zunächst eine Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1992 (BV 92), die hinsichtlich der Altersrente an die Voraussetzungen einer Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die erreichte Betriebszugehörigkeit anknüpfte und keine Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme vorsah. Diese BV wurde durch zwei weitere Betriebsvereinbarungen aus den Jahren 1995 und 2001 abgelöst. Beide sahen jeweils eine feste Altersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) und Kürzungen für die vorgezogene Inanspruchnahme vor. Ziel war es, mit diesen Kosteneinsparungen die Leistungen bei vorzeitigen Versorgungsfällen zu verbessern und gleichzeitig den Dotierungsrahmen der alten BV 92 zu erhalten.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Kürzung unrechtmäßig sei. Die verschlechternden Regelungen verstoßen auch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung, weil Schwerbehinderte nicht die Möglichkeit hätten, die vollen Ansprüche aus der bAV zu erwerben, also mit dem Alter von 65 Jahren.

Dreistufiges Prüfungsschema des BAG auch bei versicherungsmathematischen Abschlägen zu prüfen
Durch die Einführung versicherungsmathematischer Abschläge für die Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente bei gleichzeitiger Einführung einer festen Altersgrenze mit der Vollendung des 65. Lebensjahres wird nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in die Höhe der Versorgungsanwartschaften des Klägers eingegriffen – und zwar in künftige, noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse. Dieser Eingriff bedarf zu seiner Rechtfertigung sachlich-proportionaler Gründe im Sinne des dreistufigen Prüfungsschemas des Senats.

Das dreistufige Prüfungsschema gilt nur bei Eingriffen in die Höhe der Versorgungsanwartschaften. Es lässt sich nicht ohne Weiteres auf andere Eingriffe in Versorgungsrechte oder sonstige Änderungen zugesagter Versorgungsleistungen übertragen. Für solche Änderungen ist unmittelbar auf die, dem dreistufigen Prüfungsschema zugrunde liegenden, Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zurückzugreifen (vergleiche BAG-Urteil vom 30.9.2014 – 3 AZR 998/12 – Rn. 27 mwN). Da sich versicherungsmathematische Abschläge – sofern sie im Einzelfall zum Tragen kommen – auf die Höhe der Versorgungsleistung auswirken, ist vorliegend das dreistufige Prüfungsschema anzuwenden.

Soweit das BAG angenommen hat, die Einführung eines versicherungsmathematischen Abschlags könne keinen Eingriff in künftige, dienstzeitabhängige Steigerungsbeträge darstellen und folglich nicht anhand des dreistufigen Prüfungsschemas überprüft werden (BAG-Urteil vom 30.9.2014 – 3 AZR 998/12 – Rn. 47; BAG-Urteil vom 23.2.2016 – 3 AZR 44/14 – Rn. 53), hält das Gericht hieran nicht mehr fest. Ob eine sachliche Rechtfertigung gegeben ist, konnte das BAG nicht abschließend klären.

Kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wegen Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung
Das BAG hat aber eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung verneint. Zum einen wird auch den nicht behinderten Arbeitnehmern die Betriebsrente bei vorzeitiger Inanspruchnahme gekürzt, zum anderen gibt es keine anderen nicht behinderten Arbeitnehmer, die mit der Vollendung des 60. Lebensjahres eine Altersrente in Anspruch nehmen können. Damit fehlt   es an einer vergleichbaren Situation nicht behinderter Arbeitnehmer.

Eine Zurückverweisung an das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG Hessen – 6 Sa 257/14) erfolgt deshalb, weil sachlich-proportionale Gründe bei der Ablösung deshalb gegeben sein könnten, da sich die Betriebsparteien hier zulässigerweise auf eine neu zu gestaltende Verteilung geeinigt haben. Voraussetzung hierfür ist, dass der Dotierungsrahmen im Wesentlichen gleich hoch bleibt und der Eingriff für die nachteilig betroffene Arbeitnehmergruppe zumutbar ist. Das wird das LAG prüfen müssen.

Fazit:

Mal wieder hat sich das BAG mit der Ablösung von Versorgungen beschäftigt und nun festgestellt, dass auch solche Parameter, die unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Versorgungsleistung haben, anhand des dreistufigen Prüfungsschemas zu prüfen sind.

Anja Sprick, Justiziarin, Recht | Steuern Longial