27. Mai 2020
Evolution statt Revolution: Abschlussbericht der Rentenkommission liegt vor
Auftrag für die Kommission
Als Auftrag wurde der „Kommission Verlässlicher Generationenvertrag“ bereits im Koalitionsvertrag mitgegeben, dass sie „sich mit den Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen ab dem Jahr 2025 befassen“ soll. Eine gewisse Einschränkung gab es jedoch auch: Die sogenannten doppelten Haltelinien, die den Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung und gleichzeitig das Rentenniveau in bestimmten Korridoren halten sollen, waren als gegeben gesetzt. Der Auftrag war also nicht Revolution, sondern Evolution.
Regelaltersgrenze neu gedacht
Für die gesetzliche Rentenversicherung ist die Regelaltersgrenze eine sehr relevante und darüber hinaus politisch brisante Größe. All jene, die öffentlich die Anhebung der Regelaltersgrenze gefordert oder angedacht haben, ernteten regelmäßig starke Kritik. Dabei machen es mehrere EU-Mitgliedsstaaten bereits vor, wie eine intelligente und plausible Anpassung der Regelaltersgrenze aussehen kann: Anstatt einer neuen festen Grenze könnten Anpassungen an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden. Alle drei bis fünf Jahre wird überprüft. Ist die Lebenserwartung gestiegen, verschiebt sich die Regelaltersgrenze im gleichen Umfang um einige Monate nach hinten.
Doch die Kommission gibt diese Empfehlung nicht ab. Sie empfiehlt erst 2026 die Frage der Anhebung wieder zu diskutieren. Dann soll sich ein neu zu schaffender Alterssicherungsbeirat mit diesem Thema beschäftigen. Da 2031 der gleitende Anstieg der Regelaltersgrenze auf das 67. Lebensjahr vollendet ist, haben der Beirat und die Regierungen 2026 noch fünf Jahre Zeit, ein Konzept zu erarbeiten und in Gesetzen zu verabschieden.
Altersvorsorgepflicht für Selbstständige
Die Kommission empfiehlt nachdrücklich die Einführung einer „gründerfreundlich ausgestalteten Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen, die nicht bereits anderweitig obligatorisch abgesichert sind“. Der Bericht gibt darüber hinaus aber keine Hinweise, in welcher Form diese Altersvorsorgepflicht umgesetzt werden soll. Denkbar wäre, dass Selbstständige gleichermaßen wie Arbeitnehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind, wie das zum Beispiel bereits für selbstständige Handwerker gilt, bis sie 216 Pflichtbeitragsmonate erfüllt haben. Alternativ könnte auch die sogenannte Basis-Rente, auch Rürup-Rente genannt, eine Option sein: steuerlich gefördert bis zu einem festgelegten Höchstbetrag, der sich möglichst regelmäßig anpasst und im Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenversicherung ähnelt.
bAV: Komplexität verringern
Für die bAV nimmt sich die Kommission die nicht gerade übersichtliche und einfach zu verstehende Vorsorge- und Förderlandschaft von bAV und private Altersvorsorge vor: „Die heute sehr große Komplexität von privater und betrieblicher Altersvorsorge sollte nicht noch weiter gesteigert, sondern eher sinnvoll verringert werden.“ Alle Praktiker und Betroffenen hätten sich sicherlich ein sehr lautes „Darf in keinem Fall“, anstelle des vorsichtigen „Sollte nicht“ gewünscht.
Auch die gerade eingeführte Förderung von Geringverdienern (§ 100 Einkommensteuergesetz) wird beleuchtet – der Förderrahmen sollte erhöht und darüber hinaus dynamisiert werden. Denn statische Förderungen verlieren im Zeitablauf ihren Anreiz – und sind dann eben auch kein Mittel zum Erhalt eines Sicherungsniveaus.
Förderung für Riester und Rürup
Gleiches wird auch für die Riester-Förderung empfohlen – also Erhöhung des Förderrahmens und dynamische Anpassungen der Höchstgrenzen. Hier legt sich die Kommission auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung fest. Zu prüfen sei laut Kommission darüber hinaus, ob Riester- und Rürup-Förderung zusammengelegt werden können, wobei ausdrücklich gewährleistet sein soll, dass die Zulagenförderung als Instrument in der bAV erhalten bleibt: „Bei einer solchen Zusammenlegung gilt der neue steuerliche Förderrahmen dann auch für die bAV.“ Allerdings empfiehlt die Kommission, eine Ausweitung der Sozialabgabenfreiheit von Beiträgen zur Altersvorsorge auszuschließen.
Finanzierung
Der Steuer-, nicht der Beitragszahler soll den „Verlässlichen Generationenvertrag“ finanzieren. Das ist aus unserer Sicht auch folgerichtig. Denn ein verlässlicher Generationenvertrag ist eine gesamtstaatliche Aufgabe und nicht die Aufgabe jenes Teils der Bevölkerung, der zufällig sozialversicherungspflichtig ist.
Wie halten wir es mit der Garantie …?
Aber nicht nur die Förderung wird angesprochen – auch das Garantieniveau wird im Bericht diskutiert. Denn eines der liebsten „Kinder“ der Deutschen in der Altersvorsorge ist die Garantie, mindestens der eingezahlten Beiträge. Hierzu stellt die Kommission fest, dass diese nach aufsichtsrechtlichem Rahmen zwingende Vorgabe in Zeiten der Niedrigzinsphase schwerlich zu erfüllen ist. Investitionen in voraussichtlich wenige rentierliche Anlagen sind nahezu vorgeschrieben. Die Folge: Die Produkte werden unattraktiv, der Bestand stagniert (bestenfalls) und zahlreiche Anbieter ziehen sich aus dem Markt zurück.
Statt dem Vorschlag, vollständig auf Garantien zu verzichten, beizupflichten, empfiehlt die Kommission, künftig modifizierte Garantien zu ermöglichen, die ein angemessenes Verhältnis von Renditechancen und (Un-)Sicherheit zulassen. Die Festsetzung eines Prozentsatzes zu dem mindestens die eingezahlten Beiträge bei Beginn der Leistung vorhanden sein müssen, könnte ein Ansatzpunkt sein. Für die bAV werden seit einiger Zeit solche Teilgarantien diskutiert – 70 Prozent oder 80 Prozent sind dabei häufig gehörte Vorschläge für die beitragsorientierte Leistungszusage (boLZ) und die Beitragszusage mit Mindestleistung (BZmL).
Evaluierung – führt vielleicht zu einem Obligatorium?
Eine weitere Empfehlung wurde auch schon mit der Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes beschlossen: 2025 soll evaluiert werden, inwieweit die Verbreitung der bAV vorangekommen ist. Sollte es bis dahin nicht gelungen sein, die bAV nennenswert auszuweiten, steht die Verbesserung bestehender Instrumente und die Prüfung weitergehender Maßnahmen an. Ausdrücklich nimmt die Kommission auch verpflichtende Lösungen in ihren Maßnahmenkatalog auf, empfiehlt in einem solchen Fall allerdings eine mindestens hälftige Beteiligung der Arbeitgeber. Eine „echte“ bAV, welche die Unternehmen für ihre Beschäftigten einrichten, könnte also eine Lösung sein. „Back to the roots!“
Fazit
Es sind einige spannende Empfehlungen der Kommission, die es zu diskutieren gilt. Vielleicht könnte es einen Schritt in Richtung Vereinfachung für die bAV bedeuten. Vielleicht aber auch eine Abkehr von der Beitragsgarantie. Dies würde zahlreichen Anbietern das Leben in diesen Zeiten zumindest im Neugeschäft deutlich einfacher machen. Und wer weiß – vielleicht kommt es auch zu einem Revival der „echten“ bAV, also (überwiegend) arbeitgeberfinanziert, als echte Sozialleistung, aus sozialer Verantwortung und im eigenen Interesse der Unternehmen. Stichworte: demografischer Wandel und „War for Talents“.
Wie schon häufiger an dieser Stelle erwähnt: Ein Obligatorium – nach Vorgaben des Gesetzgebers, ohne Möglichkeiten individueller Ausgestaltung an die Bedürfnisse des Unternehmens – kann sich kein Arbeitgeber wirklich wünschen.
Michael Hoppstädter, Geschäftsführer, Longial