16. November 2016

Flexi-Rente: Welche Auswirkungen hat sie auf die bAV?

Schon die Vorgängerregierung hatte sie auf der Agenda, und die jetzige Bundesregierung hat den Spannungsbogen bis fast ans Ende ihrer Legislatur verlängert: die Flexi-Rente.

Der Gesetzentwurf vom 27.9.2016 (BT-Drucksache 18/9787) löst die unbefriedigende und faktisch auch nicht in Anspruch genommene bisherige Gesetzeslage durch ein erhebliches Mehr an Flexibilität sowie Beitrags- und Leistungsgerechtigkeit ab. Jedenfalls in der gesetzlichen Rentenversicherung, denn Regelungen zur bAV sucht man in dem Entwurf vergebens.

Neuerungen bei der Gesetzlichen Rente 

  • Nach wie vor bleibt es möglich, nach Erreichen der Regelaltersgrenze, also spätestens ab der Vollendung des 67. Lebensjahres, die gesetzliche Rente mit Arbeit in beliebigem Umfang zu ergänzen. Neu ist, dass man mit dieser Arbeit weitere Entgeltpunkte zu seiner Rente hinzuverdienen kann. Dazu muss man als „Arbeitnehmerrentner“ auf seine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung verzichten. Der Verzicht ist für die Dauer der Beschäftigung bindend.
  • Als Rentenbezieher vor Erreichen der Regelaltersgrenze ist man demnächst entweder „Vollrentner“ oder „Teilrentner“. Das gilt auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Vollrentner ist derjenige, der mit einem zusätzlichen Arbeitsverdienst die Jahreshinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro (entspricht der 14-fachen Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro oder 525 Euro monatlich) nicht überschreitet. Andernfalls ist der Rentner Teilrentner und bezieht bis zum Zeitpunkt der nächsten Überprüfung eine gekürzte Vollrente
  • Die Anrechnung des Hinzuverdienstes auf die Rente erfolgt in zwei Stufen: Hinzuverdienst oberhalb von 6.300 Euro jährlich wird im ersten Schritt zu 40 Prozent auf die Rente angerechnet. Liegt die so gekürzte Rente zusammen mit dem Hinzuverdienst dann noch oberhalb des individuellen „Hinzuverdienstdeckels“, wird sie um 100 Prozent des übersteigenden Betrages gekürzt. Im Extremfall fällt sie ganz weg.
  • Der Hinzuverdienstdeckel wird berechnet, indem die monatliche Bezugsgröße mit den Entgeltpunkten des Kalenderjahres mit den höchsten Entgeltpunkten aus den letzten 15 Kalenderjahren vor Beginn der ersten Rente wegen Alters vervielfältigt wird. Mindestens beträgt er 6.300 Euro zuzüglich dem Jahresbetrag der Vollrente. Neu berechnet wird er jährlich zum 1. Juli.
  • Ein Fallbeispiel aus der Gesetzesvorlage:
    Vollrente:                     1.200 Euro monatlich
    Hinzuverdienstdeckel:    525 Euro
                                      +   höchste Entgeltpunkte aus den 15 Kalenderjahren vor Beginn
                                           der ersten Rente wegen Alters * Bezugsgröße 2016
                                      =   525 + 0,8520 (Beispiel) * 2.905
                                      = 3.000 Euro.

    Hinzuverdienst a)
         18.000 Euro jährlich (= 1.500 Euro monatlich)
    Die Hinzuverdienstgrenze ist um 18.000 – 6.300 Euro jährlich = 11.700 Euro jährlich übertroffen, hiervon kommen 40 Prozent zur Anrechnung:

    1.200 Euro – 40 Prozent * 11.700 Euro / 12 = 1.200 – 390 Euro = 810 Euro.
    Der Hinzuverdienstdeckel ist nicht überschritten, denn 810 + 1.500 ist kleiner als 3.000.
    Die Teilrente beträgt 810 Euro bzw. 67,5 Prozent der Vollrente.

    Hinzuverdienst b)       42.000 Euro jährlich (= 3.500 Euro monatlich)
    Die Hinzuverdienstgrenze ist um 42.000 – 6.300 Euro jährlich = 35.700 Euro jährlich übertroffen, hiervon kommen 40 Prozent zur Anrechnung:

    1.200 Euro – 40 Prozent * 35.700 Euro / 12 = 1.200 – 1.190 Euro = 10 Euro.
    Der Hinzuverdienstdeckel ist überschritten, denn 10 + 3.500 ist größer als 3.000.
    Die Teilrente von 10 Euro muss um den übersteigenden Betrag von 510 Euro gekürzt werden, es besteht kein Rentenanspruch mehr.
  • Versicherte können den Teilrentenprozentsatz auch frei wählen. Dieser darf allerdings nicht höher sein als der, der sich bei Anrechnung des Hinzuverdienstes ergeben würde.
  • Für jeden Hinzuverdienst vor der Regelaltersgrenze gilt in Zukunft Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, das heißt, es werden Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile fällig. Andererseits erwirbt der „Arbeitnehmerrentner“ auch weitere Ansprüche.
  • Der Zeitraum, in dem Versicherte in Zukunft zu erwartende Rentenabschläge auf die vorgezogene Altersrente (beziehungsweise eine etwaige Teilrente) der gesetzlichen Rentenversicherung per Einmalbeitrag „abkaufen“ können, wird vom 55. auf das 50. Lebensjahr vorgezogen. Ein Vergleich mit dem Abschluss einer privaten Rente kann sich lohnen: In vielen Fällen wäre der Einmalbeitrag für eine private Rentenversicherung höher!
  • Arbeitgeber müssen für Beschäftigte, die die Regelaltersgrenze erreicht haben und versicherungsfrei sind, für fünf Jahre keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlen. Aus dem gleichen Grund, weswegen man dies jetzt ermöglicht, war es bisher nicht gestattet: Anreiz zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Mehr Flexibilität bei der gesetzlichen Rente
In das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung kommt mit der Neuregelung ein völlig neues, bisher nicht gekanntes Maß an Flexibilität hinein, das sicher bei vielen Beschäftigten in den letzten Jahren vor der Rente zu Überlegungen in Bezug auf einen flexiblen Ausstieg aus dem Berufsleben Anlass geben wird. Gleichzeitig kommen dadurch neue Herausforderungen auf die Arbeitgeber zu. Denn es ist zu erwarten, dass solche Überlegungen einhergehen mit dem Wunsch nach Teilzeitarbeit in der bisher ausgeübten Tätigkeit. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage aufkommen, ob sich Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, Teilzeit-Hinzuverdienst und (Teil-?)Rente aus der betrieblichen Altersversorgung miteinander kombinieren lassen.

Noch zu klären: Schnittstellen zur bAV
Über die Schnittstellen zur bAV schweigt sich der Gesetzentwurf allerdings aus. Handlungsbedarf besteht auf jeden Fall, denn der derzeitige Wortlaut des § 6 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) gesteht einem Arbeitnehmer nur dann eine Betriebsrente zu, wenn er die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch nimmt. Überschreitet er in Zukunft die Hinzuverdienstgrenze, wird er automatisch zum Teilrentner und würde damit seinen Anspruch auf eine gleichzeitige Betriebsrente verlieren. Im Beispiel der Teilzeitarbeit beim bisherigen Arbeitgeber würde sich allerdings ohnehin die Frage stellen, ob er überhaupt schon eine Betriebsrente erhalten könnte, denn er wäre ja gleichzeitig noch Arbeitnehmer. Die Fallgestaltungen, die man sich hier vorstellen kann, sind vielfältig. In der Praxis haben sie bisher kaum eine Rolle gespielt, weil es wegen der eingeschränkten Hinzuverdienstmöglichkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung kaum zu nennenswerter gleichzeitiger Teilzeitarbeit gekommen war. Der Gesetzentwurf zur Flexi-Rente setzt aber ein so deutliches Zeichen in Richtung Weiterbeschäftigung Älterer, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Änderung der Inanspruchnahme erwartet werden darf. Arbeitgeber sind gut beraten, wenn sie sich frühzeitig mit der Frage beschäftigen, ob sie in ihren Arbeitsbedingungen und in ihrer bAV Angebote zur Flexibilisierung des Ausstiegs machen und wenn ja, welche.

Fragen über Fragen…
Nur einige der dabei zu bedenkenden und gegebenenfalls auch gesetzlich noch zu regelnden Fragen seien hier aufgeführt:

  • Wie wirkt sich die Fortarbeit beim bisherigen Arbeitgeber auf das bAV-Anrecht aus? Besteht vielleicht arbeitsrechtlich ein Anspruch auf Fortführung? (Stichworte: Lohngleichheitsgebot, Altersdiskriminierung)
  • Gleichzeitiger Bezug einer (Teil-)bAV und Fortarbeit: Wie geht das in den Durchführungswegen?
    Beispiel Direktzusage: Kann für die bereits bezogene Rente der Barwert zurückgestellt werden, obwohl § 6a Einkommensteuergesetz (EStG) das nur für Ausgeschiedene zulässt?
    Beispiel Direktversicherung: Können Rentenbezug und weitere Beitragszahlung in einem Vertrag untergebracht werden?
  • Sind Sachverhalte, bei denen der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber ausscheidet und nach Bezug einer (vorgezogenen) Alters- oder Invaliditätsrente bei einem anderen Arbeitgeber eine Arbeit antritt, anders zu behandeln, als wenn er bei seinem bisherigen Arbeitgeber weiter arbeitet?
  • Welche Auswirkungen hätte das auf die handels- und steuerbilanzielle Rückstellungsbildung bei Direktzusagen, wenn eine Fortarbeit zu einem weiteren Anwachsen des Anrechts führt beziehungsweise führen kann?
  • Wie werden die üblichen Systeme zur Personalverwaltung und –abrechnung mit der Parallelität von Beschäftigung und Rentenbezug fertig?
  • Etc.

Fazit:

Mit dem Flexi-Rentengesetz geht der Gesetzgeber einen großen Schritt in Richtung zu deutlich mehr Flexibilität beim Übergang von der aktiven Beschäftigung in die Rente. Die Möglichkeiten, die Arbeitnehmer in Zukunft haben, werden in Form vermehrter Nachfrage nach entsprechender flexibler Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und der damit zusammenhängenden Leistungen, vor allem der bAV, ihren Niederschlag finden. Die Konsequenzen und die zu regelnden Sachverhalte sind derzeit noch längst nicht in vollem Umfang absehbar. Es ist aber mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass das Thema eine zentrale Rolle bei Beratungen und Konzeptüberlegungen der nächsten Jahre spielen wird.
Gerne unterstützen wir dabei mit Konzeptüberlegungen, entsprechenden Analysen und Recherchen.     

Dr. Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer, Longial