02. Dezember 2020

Kapitalleistungen aus Direktversicherungen als sozialversicherungsrechtlicher Versorgungsbezug (BSG-Urteil vom 8.7.2020 – B 12 KR 1/19 R)

Kapitalleistungen aus einer Direktversicherung unterliegen als Versorgungsbezüge der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung – so das Bundessozialgericht. Auf eine förmliche Versorgungszusage oder die Finanzierungsform kommt es dabei nicht an.


Sachverhalt
Die frühere Arbeitgeberin des im Jahr 1950 geborenen Versorgungsberechtigten hatte für diesen eine Direktversicherung abgeschlossen. Im Juli 2011 erhielt er eine Kapitalleistung in Höhe von 58.390,07 Euro aus der vorgenannten Direktversicherung ausgezahlt. Die beklagte Krankenkasse setzte auf 1/120 dieser Summe – auch im Namen der Pflegekasse – für 10 Jahre monatliche Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit ab 1.8.2011 fest.

Die auf Aufhebung der Beitragsfestsetzung und Erstattung gerichtete Klage und Berufung vor dem Sozialgericht Lüneburg (Urteil vom 12.5.2017 – S 41 KR 232/14) und dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 27.11.2018 – L 4 KR 347/17,) sind erfolglos geblieben. Bei der ausgezahlten Kapitalleistung handele es sich um eine Form der bAV. Der vorzeitige Abruf der Leistung – noch während der Altersteilzeit – durch den Versorgungsberechtigten ändere daran nichts.

Der Versorgungsberechtigte argumentierte, die streitige Kapitalleistung sei aus Mehrarbeit bezahlt und damit von ihm finanziert worden. Ferner habe die Kapitalleistung Überbrückungsfunktion gehabt und sollte lediglich der Finanzierung des Übergangs in den Ruhestand dienen. Da er zum Zeitpunkt der Auszahlung noch nicht im Ruhestand gewesen sei, scheide eine Altersversorgung auch aus diesem Grund aus.

Entscheidung 
Die Revision des Versorgungsberechtigten beim Bundessozialgericht (BSG) hatte keinen Erfolg. Die ihm ausgezahlte Kapitalleistung ist eine von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 3 Sozialgesetzbuch V erfasste, nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung der bAV. Der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts erfordert keine über die Direktversicherung hinausgehende Versorgungszusage des Arbeitgebers.

Das BSG vertritt hier auch die Auffassung, dass die als Direktversicherung abgeschlossene Lebensversicherung der Altersversorgung diene. Denn zum Zeitpunkt der Auszahlung war der Kläger bereits in der Freistellungsphase der Altersteilzeit. Damit war der Versorgungsberechtigte nach Auffassung des BSG bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. 

Einen Überbrückungscharakter der Direktversicherungsleistung verneint das BSG ebenfalls, weil die Leistung weder zeitlich befristet noch zu einem Zeitpunkt fällig war, der üblicherweise noch nicht als Beginn des Ruhestands angesehen wird. Der Versorgungsberechtigte erhielt die Leistungen nämlich nach der Vollendung des 60. Lebensjahres.

Die Finanzierung der Lebensversicherung durch Mehrarbeit des Versorgungsberechtigten ändert ihren Charakter als bAV nicht. Dass Versicherungsprämien ganz oder teilweise aus dem Arbeitsentgelt des Versorgungsberechtigten aufgebracht werden, ist nach Auffassung des BSG ebenfalls unerheblich.

Fazit

Kapitalleistungen aus einer Direktversicherung sind aufgrund des institutionellen Rahmens Versorgungsleistungen, die der Verbeitragung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen sind. Dabei ist unerheblich, ob diese vom Arbeitgeber oder Arbeitnehmer finanziert wurden. Eine zusätzliche Versorgungszusage ist für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung nicht erforderlich.

i Was ist zu tun?

Dieses Urteil bestätigt erneut, dass in der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung die sogenannte institutionelle Betrachtungsweise fest verankert ist. Das bedeutet, dass Leistungen aus einem Durchführungsweg der bAV sozialversicherungsrechtlich als Versorgungsbezüge einzustufen sind und der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung unterliegen.
Der Terminbericht des BSG legt die Vermutung nahe, dass eine andere Sichtweise eingenommen werden könnte, wenn der Leistung Überbrückungscharakter zukäme. Dies kann man wohl nur bejahen, wenn die Leistungen
  • vor der Vollendung des 60. Lebensjahres ausgezahlt werden (was steuerlich allerdings die Anerkennung als bAV in Frage stellt) und
  • zeitlich befristet sind.
Hier bleibt jedoch die genaue Urteilsbegründung abzuwarten.
Weitere Infos unter: weitblick@longial.de


Bernd Wilhelm-Werkle, LL..M. Syndikusrechtsanwalt, Leiter Geschäftsbereich Beratung, Longial