07. September 2022

... mit Michael Hoppstädter: Was bedeutet Inflation für die Versorgung?

Einer der meistgehörten und -gelesenen Begriffe des Wirtschaftslebens war in den letzten Wochen ganz sicher „Inflation“ – viele Jahre kein Thema (oder wegen der sehr guten Wirtschaftslage nur nicht auf dem Schirm?), ist sie nun ganz plötzlich wieder da – und das in ungeahntem Ausmaß.

Im Mai 2022 lag sie bei 7,9 Prozent*), im Juli 2022 leicht sinkend bei 7,5 Prozent*). Das hat das Potenzial zum „Unwort des Jahres“.

Hätten Sie es gewusst? Auf Jahressicht hat die Inflationsrate in Deutschland die 7-Prozent-Marke seit Gründung der Bundesrepublik nur zwei Mal überschritten, 1951 mit 7,6 Prozent*) und zuletzt 1971 mit 7,1 Prozent*) – lang ist‘s her …

Was bedeutet Inflation überhaupt?
Sehr vereinfacht ausgedrückt bezeichnet die Inflation die kontinuierliche Steigerung des Preisniveaus bei einer Vielzahl von Waren und Dienstleistungen – wohlgemerkt nicht die regionale Preissteigerung eines einzelnen Produkts, etwa für Kartoffeln in Düsseldorf und Umgebung.

Entwickelt sich das Preisniveau kontinuierlich nach oben, bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Kaufkraft des Geldes über die Jahre sinkt. Für 100 EUR konnte man vor 20 Jahren mehr einkaufen als mit 100 EUR im Jahr 2022. Und 2042 wird man für 100 EUR wohl wiederum weniger einkaufen können als heute.

Konkret heißt das: bei einer Inflation von 2 Prozent pro Jahr sind die 100 EUR aus dem Jahre 2002 heute, im Jahre 2022, nur noch 67,30 EUR  „wert“, bei 3 Prozent nur 55,37 EUR. Um keine Weltuntergangsstimmung aufkommen zu lassen, erspare ich uns die Hochrechnung bei einer Inflationsrate von 7 Prozent und mehr. Es wäre sicher auch falsch – in jedem Fall aber verfrüht – heute Spekulationen darüber anzustellen, wie sich die Inflation in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Dafür spielen viel zu viele Faktoren eine Rolle: wie entwickelt sich der Krieg in der Ukraine, wie viele Corona-Wellen in welcher Intensität werden wir in Deutschland, Europa aber auch weltweit noch sehen, wie schnell lösen sich die Lieferengpässe bestimmter Güter und Vorprodukte auf usw. Und welche Krise ereilt uns als nächstes – oder eben auch nicht. Vielleicht ist das langjährige Mittel der Inflationsrate seit 1950 bis 2021 ein guter Indikator – 2,37 Prozent*).

Was bedeutet eine hohe Inflation für die Altersversorgung?
Entwickeln sich Löhne und Gehälter sowie die Anwartschaften auf Alterseinkünfte der gesetzlichen Systeme und die Kapitalerträge der privaten und betrieblichen Altersversorgung immer in gleichem Umfang und zeitgleich mit der Inflation, sollte sie keine Auswirkungen auf die Altersversorgung der Versorgungsberechtigten haben. Aber diesen Idealzustand gibt es in der Realität (leider) nicht.

Die konkreten Auswirkungen sind natürlich sehr individuell und, wie so oft in der bAV, abhängig von der Art der Zusage. Und sie unterscheiden sich ggfs. auch danach, aus welcher Perspektive man sie betrachtet.

Aus Arbeitnehmersicht sind beitragsorientierte Leistungszusagen (BOLZ) durchaus anfällig für Inflation. Vor allem bei Entgeltumwandlungen wird die BOLZ aber häufig auch an die Entwicklung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) gekoppelt. Das mindert die Auswirkungen der Geldentwertung wieder deutlich ab. Endgehaltsabhängige Versorgungszusagen – die Älteren werden sich erinnern: so hat man früher arbeitgeberfinanzierte bAV gemacht – sind, weil variabel an die Entwicklung des Gehalts gekoppelt, ebenfalls deutlich weniger inflationsanfällig als Festbetragszusagen. 

Aus Arbeitgebersicht wirkt sich eine hohe Inflation günstig auf Festbetragszusagen und beitragsorientierte Leistungszusagen aus – diese werden real über die Zeit niedriger. Gehaltsabhängige Zusagen werden zwar nominal teurer, wenn Löhne und Gehälter inflationsbedingt steigen. Real sind sie aber weitestgehend kostenstabil.

Ist die bAV im Wege der Direktzusage erteilt, sind bekanntlich Pensionsrückstellungen auszuweisen. Je nach Ausgestaltung der Zusagen sind für die Bewertung der Versorgungsverpflichtungen Gehalts- und Rententrends zu berücksichtigen, die die Pensionsrückstellung tendenziell erhöhen. Und in Zeiten höherer Inflationsraten wird der Wirtschaftsprüfer auf eine Anpassung dieser Trendannahmen Wert legen – was tendenziell steigende Pensionsrückstellungen und damit auch steigenden Pensionsaufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung bedeutet. Steigende Inflation geht in der Regel aber auch mit steigenden Zinsen einher. Der Rechnungszins für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen nach Handelsgesetzbuch (HGB) ergibt sich aus dem zehnjährigen Durchschnitt des Marktzinses. Man sieht heute schon Auswirkungen auf den Rechnungszins: der Abwärtstrend der letzten Jahre ist mehr oder weniger gestoppt, wie man in unserer Prognose zum HGB-Rechnungszins monatlich aktualisiert sehen kann. Steigt das Marktzinsniveau weiter, wird sich auch der HGB-Rechnungszins mittelfristig erhöhen. Das wiederum führt zu Entlastungen der Unternehmen bei den Pensionsverpflichtungen.

Und was macht man jetzt daraus?
Allen Beteiligten, die sich mit Altersversorgung jeder Ausprägung beschäftigen – Arbeitgebern wie Arbeitnehmern, aber auch Beratern – kann ich nur empfehlen, Versorgungsleistungen nicht nominal zu vergleichen. 

Wenn man feststellt, dass sich heute eine Versorgungslücke in Höhe von 100 EUR monatlich nominal ergibt, sollte klar sein, dass das a) eine Momentaufnahme ist, b) die Inflation diese Versorgungslücke vergrößert, wenn ich denn das Ziel habe, die gleiche Kaufkraft zu behalten und c) natürlich auch die Entwicklung von Gehältern und Kapitalerträgen berücksichtigt werden muss. Leider neigen wir dazu, die Entwicklung unserer Gehälter und der künftigen Wertentwicklung unserer Kapitalanlagen zu überschätzen, während wir die Inflation – und damit die Geldentwertung – unterschätzen.

Das Problem – die Versorgungslücke – wird bei Berücksichtigung der Inflation größer werden. Damit steigt dann auch der Aufwand, also der Betrag, der monatlich, jährlich oder einmalig aufgewendet werden muss, um die Lücke zu schließen. Nicht schön, keine gute Nachricht. Aber wenn Sie mich fragen: es ist besser die Fakten zu kennen, als das Problem zu ignorieren. Dann kann man wenigstens fundierte Entscheidungen treffen.

Übrigens war es angeblich Albert Einstein, der gesagt haben soll, dass der Zinseszins-Effekt die größte Erfindung menschlichen Denkens sei. Brillant, der Mann. Leider hat er nicht dazugesagt, dass der Zinseszins in beide Richtungen wirkt.

Ihr 
Michael Hoppstädter, Geschäftsführer, Longial


*)Quelle: Statista „Inflationsrate in Deutschland seit 1948“