25. Mai 2016

Mobil, flexibel, digital – Läuft die Arbeitswelt der bAV davon?

Die neue Arbeitswelt 4.0 ist mobil, flexibel, digital. Daran muss sich auch die bAV messen, wenn sie in der Lebensplanung der Arbeitnehmer relevant bleiben möchte.

Bevor man jedoch einen Blick in die Zukunft der Generation Y und Z im Rentenalter wirft, ist eine aktuelle Bestandsaufnahme sinnvoll. Denn schon heute ist eine Anpassung der bAV an die Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern überfällig.

Steuerliche Rahmenbedingungen bleiben Knackpunkt
Unabhängig davon, welche Konzepte, Ideen oder gar Visionen für die bAV entwickelt werden: Eine steuerliche Begleitung ist notwendig. Die Entscheidungshoheit liegt beim Bundesfinanzminister. Das von ihm Ende 2015 beauftragte wissenschaftliche Gutachten mit dem Titel „Optimierungsmöglichkeiten bei den bestehenden steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Förderregelungen der bAV“ ist jetzt veröffentlicht worden. Auch in diesem Gutachten werden steuerliche Unterstützungsmaßnahmen empfohlen. Eine Einschätzung des Gutachtens lesen Sie im Beitrag „Veröffentlichung der Gutachten zur weiteren Verbreitung der bAV facht Reformdiskussion wieder an“. 

Zulage zur bAV als Attraktivitätsschub für Geringverdiener
Um insbesondere bei Arbeitnehmern mit geringem Einkommen die Bereitschaft zu einer bAV zu fördern, hat die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) eine direkte staatliche Förderung, das heißt eine Zulage, vorgeschlagen. Gerade bei den Geringverdienern könnte dies zu einem Schub bei der bAV führen.

Der Arbeitgeber soll‘s richten
Doch trotz der zahlreichen Vorschläge und Gutachten, die Betriebsrente attraktiver zu gestalten, ist steuerlich nicht viel zu erwarten. Zu eng sind die finanziellen Spielräume, die der Staat zu geben bereit ist. Die Hoffnung richtet sich daher auf die Arbeitgeber: Vielleicht könnten sie durch betriebsrentenrechtliche Regelungen – beispielsweise weniger Haftung für Garantien – davon überzeugt werden, die bAV mit einer Anschubfinanzierung zu versehen.

Herausforderungen durch die neue Arbeitswelt
Alles das darf aber nicht dazu führen, die Augen vor den eigentlichen Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 zu verschließen. Die Betriebsrente, wie momentan bekannt, setzt ein festes Dauerarbeitsverhältnis voraus. Doch solche langfristigen Arbeitsverhältnisse sind auf dem Rückzug: So hatten laut Statistischem Bundesamt 2014 immerhin 17,2 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Langfristige Arbeitsverhältnisse sind, zumindest beim Berufseinstieg, also auf dem Rückzug. Zudem bestimmt immer häufiger der Breitbandanschluss den Arbeitsplatz und nicht der Schreibtisch in der Firma. Die Bindung ans Unternehmen weicht einer Bindung an Projekte. Natürlich funktionieren die neuen Jobformen (noch) nicht in allen Branchen. Doch zunehmend ersetzt eine projektbasierte und damit schwankende Bezahlung das regelmäßige Gehalt. Auch geographische Grenzen spielen keine Rolle mehr.

Zu langsam für die neuen Trends?
Das stellt die etablierten Systeme der bAV vor große Herausforderungen. Und aufgrund der selbst geschaffenen Komplexität der deutschen Betriebsrente kann auf keinen der genannten Trends schnell reagiert werden. Symptomatisch dafür ist die offensichtliche Unvereinbarkeit von Wortungetümen wie „unverfallbare Anwartschaft“ und deren in die Vergangenheit gerichteter inhaltlicher Bedeutung mit den hippen neuen Klassifizierungen.

Generation Y und Z
Die Vertreter der Generation Y-Z (geboren nach 1980) sind mit vielen Wahlmöglichkeiten groß geworden, sowohl im Alltag als auch im Internet. Sie legen Wert auf private und berufliche Freiräume. Der Lebenslauf ist nicht mehr geradlinig, das Leben selbst weniger planbar als bei ihren Eltern. Improvisieren kommt vor Planen, Selbstoptimierung ist wichtig. Dennoch – oder gerade deshalb – ist laut einer Umfrage von YouGov im Auftrag von Canada Life das Thema Altersvorsorge den jetzt 21- bis 35-Jährigen bewusst und sowohl mit Hoffnungen als auch mit Befürchtungen verbunden. 50 Prozent geben an, nicht genügend Geld für die Altersvorsorge zurücklegen zu können. Andererseits haben sie genaue Vorstellungen und hohe Ansprüche an ihre Zeit nach dem Erwerbsleben. Wichtig sind vor allem ausreichende finanzielle Mittel für Freizeit, aber auch für die medizinische Versorgung im Rentenalter.

Realitätscheck für „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ und „Deutschland-Rente“
Die bAV kann einem schon fast leidtun, wenn sie vor diesem Hintergrund über Vorschläge wie das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ oder die „Deutschland-Rente“ diskutiert. Sie stellen eher eine Fortführung und weitere Verkomplizierung bestehender Varianten dar als wirklich neue Ansätze. Voraussetzung für alle Vorschläge ist nahezu immer die Fiktion fester und langfristiger Arbeitsverhältnisse. Doch nicht die bAV bestimmt den Arbeitsmarkt, sondern umgekehrt!

Antwort auf neue Sicherungsdefizite
Durch den Wandel der Erwerbsformen entstehen neue Sicherungsdefizite. Ganz zentral ist dabei die Abbildung der Flexibilität, mit der die tradierten bAV-Systeme nur ganz schwer umgehen können. Die bAV muss auch für selbstständig Beschäftigte mehr geöffnet werden. Letztlich wird man sich einer Art Vorsorgekonto nähern müssen, in das zu unterschiedlichen Zeiten, Dauern und Höhen Beiträge fließen, die sowohl vom Beschäftigten als auch vom Auftraggeber bezahlt werden können. Ob es überhaupt noch den Begriff der Altersgrenze geben kann oder wird? Jedenfalls wird das Ansparen und das Herausnehmen aus dem Vorsorgekonto ein Prozess sein, der durchaus über nennenswerte Zeiträume auch parallel laufen kann.

Offen für Selbstständige
Private Vorsorge wird verstärkt zur Notwendigkeit, wenn nicht zur Pflicht. Aber auch die Betriebsrente muss, wenn sie langfristig aus dem Schatten heraus soll, für selbstständig Beschäftigte geöffnet werden. Sie kann das bereits heute schon gemäß § 17 Abs. 1 BetrAVG (Betriebsrentengesetz), allerdings ist das mehr der Ausnahmefall.

Fokus auf Arbeitnehmerinteressen
Ganz allgemein muss die bAV verstärkt die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen. Denn sie sind es, die sich im Zuge der veränderten Arbeitswelt um ihre Zukunft zu kümmern haben. Y und Z sind ‚Digital Natives‘, also mit dem Informationsangebot des Internets großgeworden. Sie informieren sich, haben mehr Infos beispielsweise über Finanzanlagen oder Vorsorge zur Verfügung als frühere Generationen, erwarten auf der anderen Seite aber auch qualifizierte und verlässliche Information und Empfehlungen. Optionen werden noch gefragter sein als heute: Muss es immer eine Rente sein? Warum ein Angebot über alle Leistungsarten, wenn Berufsunfähigkeitsschutz oder Hinterbliebenenleistungen gar nicht gebraucht werden? Und last but not least: Auch für Beiträge aus dem Ausland muss das Vorsorgekonto des Beschäftigten offen sein.

Fazit:

Um die Betriebsrente für die zukünftigen Herausforderungen zu wappnen und für kommende Generationen attraktiv zu gestalten, sind der Kreativität also keine Grenzen gesetzt. Das schließt den Kreis zur rasanten Entwicklung der Arbeitswelt 4.0. Man muss nur wollen.

Dr. Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer, Longial