15. Februar 2017

Nicht jeder Beherrschungsvertrag rechtfertigt Berechnungsdurchgriff

(BGH-Urteil vom 27.9.2016 – II ZR 57/15)

 

Mit seiner Entscheidung schließt sich der Bundesgerichtshof (BGH) der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG-Urteil vom 10. 3.2015 – 3 AZR 739/13) an.


Das BAG gab 2015 seine bis dahin vertretene Rechtsauffassung auf, dass ein Beherrschungsvertrag den Berechnungsdurchgriff im Rahmen der Anpassungsprüfung der laufenden Renten auf die herrschende Gesellschaft bedingungslos rechtfertige. Grundsätzlich ist ein Beherrschungsvertrag zwar ein Indiz dafür, dass die wirtschaftliche Lage der herrschenden Gesellschaft im Rahmen der Anpassungsprüfung zu berücksichtigen ist. Wenn der Arbeitgeber aber darlegen kann, dass sich aus dem Bestehen des Beherrschungsvertrages keine Gefahrenlage für die Rentenempfänger ergeben hat, kann dieser Vertrag unberücksichtigt bleiben.

Nun hat der BGH dies auch für die Betriebsrentenanpassungen von Organmitgliedern bestätigt. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war als Vorstand für eine Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig. Er bezieht seit 2000 Leistungen der bAV. Die Beklagte ist Tochtergesellschaft einer Obergesellschaft. Zwischen den beiden Gesellschaften besteht seit Oktober 2000 ein Beherrschungsvertrag. Die Beklagte hat ihr operatives Geschäft 2007 aufgegeben und verfügt nicht mehr über genügend Mittel für eine Rentenanpassung. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Obergesellschaft würden eine Anpassung zulassen.

Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und mangels Entscheidungsreife an das Oberlandesgericht Frankfurt (16 U 56/14) zurückverwiesen. Die Vorinstanz muss die Behauptung des Klägers prüfen, die Beklagte wäre noch erfolgreich am Markt tätig, wenn die Obergesellschaft sie nicht zu einer reinen Abwicklungsgesellschaft gemacht hätte. Dies könnte einen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der Obergesellschaft rechtfertigen.

Die Ausnahme von der Regel
Im Rahmen der dreijährigen Anpassungsprüfungspflicht trifft der Arbeitgeber nach billigem Ermessen eine Entscheidung über die Rentenanpassung. Grundsätzlich kommt es hierbei auf die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers selbst an. Verwirklicht sich die, mit einem Beherrschungsvertrag verbundene, Gefahr am Erhalt der realen Werte der Versorgungsansprüche, so rechtfertige dies ein Abstellen auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens. Denn der Beherrschungsvertrag gibt ihm die Möglichkeit, dem beherrschten Unternehmen auch Weisungen zu dessen Nachteil zu erteilen. Derartige Weisungen können einen Berechnungsdurchgriff auf das beherrschte Unternehmen rechtfertigen.

Es kommt auf den Einzelfall an
Zwar entsteht mit einem Beherrschungsvertrag eine Gefahrenlage für das beherrschte Unternehmen und die schutzwürdigen Interessen der Versorgungsempfänger. Verwirklicht sich diese Gefahrenlage jedoch nicht, besteht für einen Berechnungsdurchgriff kein Grund. Häufig werden nämlich Beherrschungsverträge zum Beispiel zur Herbeiführung steuerlicher Organschaft abgeschlossen, ohne dass es jemals zu nachteiligen Weisungen für das beherrschte Unternehmen kommt. Zudem wird es Fälle geben, in denen das beherrschte Unternehmen auch ohne irgendeine nachteilige Weisung des herrschenden Unternehmens wirtschaftlich nicht in der Lage sein wird, Rentenanpassungen vorzunehmen. Das Vorliegen eines Beherrschungsvertrages alleine darf nicht dazu führen, dass Versorgungsempfänger automatisch durch eine Konzernzugehörigkeit im Rahmen eines Berechnungsdurchgriffs profitieren.

Hohe Anforderungen für die Arbeitgeber
Im Prozess ergibt sich für den Versorgungsschuldner jedoch eine hohe Darlegungslast. Er hat substantiiert darzulegen, dass sich die im Beherrschungsvertrag angelegte Gefahrenlage nicht verwirklicht oder nachteilig ausgewirkt hat. Ansonsten kommt es zum Berechnungsdurchgriff.

Fazit: 

Das Urteil ist insoweit erfreulich, als nun auch der BGH bestätigt, dass alleine das Vorliegen eines Beherrschungsvertrages nicht den sogenannten Berechnungsdurchgriff auf das beherrschende Unternehmen rechtfertigt. Dennoch entbindet es die Arbeitgeber nicht von ihrer Darlegungslast, aufgestellte Behauptungen der Versorgungsempfänger zu widerlegen. Es empfiehlt sich, im Zweifelsfall frühzeitig sachkundige Beratung einzuholen.

Bernd Wilhelm, LL..M. Syndikusrechtsanwalt, Leiter Geschäftsbereich Beratung, Longial