17. Februar 2016
Reformbewegung rund um die Altersvorsorge in Italien
Zum Vergleich: In Deutschland regierten im gleichen Zeitraum 3 Bundeskanzler und die letzte große Rentenreform erfolgte 2008 mit der Anhebung der Regelaltersgrenze auf das 67. Lebensjahr.
Gesetzliche Rentenversicherung in Italien
Für die erste Säule der Altersversorgung wird in Italien so viel aufgewendet (16 Prozent des Bruttoinlandsprodukt, Deutschland: ca. 10 Prozent) wie in keinem anderen europäischen Land, mit Ausnahme von Griechenland. Das ist auch an den Leistungen ablesbar, die das staatliche Rentensystem den Italienern gewährt – bis zu 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens beträgt die Leistung für die heutigen Rentner. Ein auf Dauer nicht zu finanzierendes System.
In 2011 wurde daher das System drastisch geändert. Nicht nur die Regelaltersgrenze wurde auf 66 Jahre und 3 Monate angehoben, eine abschlagsfreie Rente erhält man nun erst nach 42 Versicherungsjahren. Die gravierendste Veränderung für künftige Rentnergenerationen ist jedoch die Umstellung auf ein im Grunde beitragsorientiertes Versorgungssystem. Während früher die letzten Einkommen vor Rentenbeginn für die Rentenhöhe maßgeblich waren, wird nun aus der Summe der im Erwerbsleben eingezahlten Beiträge eine lebenslange Rente ermittelt.
Gerade jüngere Arbeitnehmer werden deutlich niedrigere Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwarten haben – und das, obwohl der Beitragssatz hierfür bei 33 Prozent liegt (zum Vergleich: Deutschland 18,7 Prozent). Und diesen Beitrag hat der Arbeitnehmer vollständig alleine zu tragen.
Betriebliche Altersversorgung in Italien
Jeder Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, egal aus welchem Grund, eine Abfindung („Trattamento die fine Rapporto – TFR“) zahlen. Diese ergibt sich aus 6,9 Prozent zuzüglich 75 Prozent der Inflationsrate des Jahresgehaltes je Beschäftigungsjahr. Diese Beiträge sind mit 1,5 Prozent jährlich zu verzinsen. Die sich bei Ausscheiden ergebende Gesamtsumme wird als Abfindung in einer Summe ausgezahlt.
Die echte zweite Säule der Altersversorgung fristet in Italien bislang ein Schattendasein. Lediglich 22 Prozent der Arbeitnehmer bauen Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung auf. Was auf den ersten Blick verwundert, wird bei näherer Betrachtung aber vielleicht verständlich:
- Die älteren Arbeitnehmer genießen noch hohe Anwartschaften aus dem alten Rentensystem und verspüren daher keinen oder nur geringen Druck, eine zusätzliche Altersversorgung aufzubauen.
- Die jungen Arbeitnehmer hingegen können sich angesichts der hohen Beiträge im neuen System den zusätzlichen Aufbau einer Altersversorgung in der zweiten Säule meistens schlicht nicht leisten.
Auch die steuerlichen Rahmenbedingungen sind für die betriebliche Altersversorgung nicht gerade günstig. Zum einen hat der Betriebsrentner die Leistungen zu versteuern. Zum anderen müssen die Pensionsfonds auch die Renditen, die sie mit der Kapitalanlage erzielen, jährlich versteuern. Immerhin sind Beitragszahlung der Arbeitnehmer bis zu ca. 5.000 Euro jährlich steuerfrei.
Um die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu steigern, werden zurzeit verschiedene Modelle diskutiert. Von Arbeitgeber-Seite wird ein Opting-Out ins Spiel gebracht, also eine automatische Aufnahme der Arbeitnehmer in betriebliche Versorgungssysteme, solange der Arbeitnehmer dem nicht aktiv widerspricht. In 2007 gab es ein solches Modell bereits, allerdings waren die Akzeptanz und damit die Annahme durch die Arbeitnehmer sehr gering. Im Rahmen einer der zahlreichen Reformen ist das Opting-Out dann auch wieder abgeschafft worden. Ob es unter den neuen Rahmenbedingungen mehr Erfolg hat?
Ein weiterer Punkt der Diskussion ist die vollständige Portabilität von Versorgungsanwartschaften von der betrieblichen in die private Altersversorgung. Damit könnte der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber beispielsweise ein privates Altersversorgungsmodell vorgeben, in das dieser dann seine Beiträge einzahlt. Ob das aber zu mehr und höheren Altersbezügen führt oder nur zu mehr Wettbewerb (und damit höheren Kosten) zwischen betrieblichen und privaten Produktanbietern, insbesondere Banken und Versicherern, ist sehr fraglich.
Fazit:
In Anbetracht des gravierenden demographischen Wandels in den kommenden 20 Jahren ist in Italien dringender Handlungsbedarf gegeben. Ein erster Schritt Richtung nachhaltiger Finanzierung des gesetzlichen Rentensystems ist mit der Reform von 2011 gelungen. Die nächsten Ziele zur Stärkung der Altersversorgung in Italien sind nun die Reduzierung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer und die Stärkung und Attraktivitätssteigerung der betrieblichen Altersversorgung. Und vor allem muss die hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den jungen Italienern, bekämpft werden, damit überhaupt Anwartschaften zur Altersversorgung aufgebaut werden.
Michael Hoppstädter, Leiter Consulting, Longial