16. November 2016

Reformvorhaben rund um die betriebliche Altersversorgung

Unter dem Namen „Betriebsrentenstärkungsgesetz“ ist am 4. November 2016 der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze veröffentlicht worden.

 

Darin sind alle Maßnahmen des Gesetzgebers subsummiert, die der Stärkung und Förderung der bAV dienen sollen – speziell mit dem Blick auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Geringverdiener. Nach wie vor geht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) davon aus, dass das Gesetz noch um Ostern 2017 verabschiedet werden kann.

1. Betriebsrentenstärkungsgesetz – endlich da

Die entscheidenden Neuerungen im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) befinden sich in einem völlig neuen Abschnitt 7, bestehend aus den §§ 19 bis 25, die die bisherigen Paragrafen, die ohnehin nur Aufhebungsvorschriften enthielten, ersetzen. Der Abschnitt ist überschrieben mit „Betriebliche Altersversorgung und Tarifvertrag“, was bereits deutlich macht, dass die entscheidenden Neuerungen einer tarifvertraglichen Rechtsgrundlage bedürfen, womit der bereits in der Diskussion geprägte Name „Sozialpartnermodell“ unterstrichen wird.

  • § 19 – Allgemeine Tariföffnungsklausel
    Diese Regelung enthält im Wesentlichen die bisher bereits in § 17 Abs. (3) geregelte Tariföffnung und erweitert sie.
  • § 20 – Tarifvertrag und Entgeltumwandlung; Optionssysteme
    Das sogenannte Optionsmodell (Opting-out) kann als automatische Entgeltumwandlung mit Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers auf der Basis eines Tarifvertrages eingeführt werden. Das Angebot an den Arbeitnehmer erfordert die Schriftform. Es muss mindestens drei Monate vor der ersten Fälligkeit des umzuwandelnden Entgeltes gemacht werden. Zudem muss es deutlich darauf hinweisen, welcher Teil des Entgeltes und in welcher Höhe umgewandelt werden soll. Darüber hinaus ist erforderlich, dass dem Arbeitnehmer eine mindestens einmonatige Widerspruchs- beziehungsweise höchstens einmonatige Ausstiegsfrist gewährt wird. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, gilt das Angebot durch den Arbeitnehmer als angenommen.
    Nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Anwendung einschlägiger tariflicher Regelungen vereinbaren.
  • §§ 21 bis 25 regeln Einzelheiten zur neuen Zusageform der reinen Beitragszusage.
    Grundsätzlich wird die reine Beitragszusage als weitere Zusageform in der neuen Nummer 2a des § 1 Abs. (2 ) definiert – neben der Leistungszusage, der beitragsorientierten Leistungszusage und der Beitragszusage mit Mindestleistung: Betriebliche Altersversorgung liegt auch vor, wenn der Arbeitgeber durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung verpflichtet wird, Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder in eine Direktversicherung zu zahlen. Die Einstandspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. (1) Satz 3, das heißt, die sogenannte Arbeitgeberhaftung für in der Zusage enthaltene Mindestgarantien, besteht nicht.

    Neu und überraschend ist, dass für die reine Beitragszusage keinerlei Garantien gefordert werden, sofern die Tarifvertragsparteien auf diese verzichten. Damit erübrigt sich auch ein Insolvenzschutz, denn es gibt keine zugesagte Leistung mehr, die abzusichern wäre. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Garantien nicht im Sinne der Arbeitnehmer sind, da sie nur Rendite kosten. Dieser Argumentation haben sich sogar große Gewerkschaften angeschlossen.

    Für die Durchführung der reinen Beitragszusage fordert der neue § 21 eine Beteiligung der Tarifparteien über gemeinsame Einrichtungen gemäß § 4 des Tarifvertragsgesetzes oder auf eine andere durch den Tarifvertrag bestimmte Weise. Damit nimmt der Gesetzentwurf die Tarifparteien einerseits in die Pflicht, räumt ihnen aber andererseits einen großen Gestaltungsspielraum ein. In Abs. (2) des § 21 wird sogar ermöglicht, dass im Falle der Direktversicherung eine gemeinsame Einrichtung an die Stelle des Arbeitgebers als Versicherungsnehmer treten kann. Eine gemeinsame Einrichtung der Tarifpartner könnte also demnächst einen Gruppenvertrag mit einem Versicherungsunternehmen abschließen und über diesen beispielsweise die Entgeltumwandlung für alle Arbeitnehmer der angeschlossenen Arbeitgeber in Form des Optionsmodells (automatische Teilnahme) durchführen. Die einzelnen Arbeitgeber müssten in diesem Fall keinen Versicherungsvertrag abschließen, sondern lediglich ihrer Angebots-, Aufklärungs- und Beitragsabführungspflicht nachkommen.

    In § 22 des Gesetzentwurfs werden die Ansprüche des Arbeitnehmers an die tarifvertraglich begründete Versorgungseinrichtung geregelt. Hier verstecken sich auch die im Vorwege bereits öffentlich diskutierten Zielrenten („Defined Ambition“). Drei Dinge werden klargestellt:
    a) es sind Leistungen zu erbringen,
    b) diese Leistungen sind laufende Leistungen,
    c) die Höhe der Leistungen hängt ab von dem Versorgungskapital, welches dem Versorgungsempfänger planmäßig zuzurechnen ist.

    Das heißt im Klartext: Das BMAS stellt sich vor, dass es aus einer reinen Beitragszusage laufende Renten geben muss. Sie werden auf der Basis von jeweiligen „best-estimate-Rechnungsgrundlagen“ ermittelt und können auch in der Rentenphase sinken, denn sie berücksichtigen den Stand und die erwartete Entwicklung des angesammelten Versorgungskapitals.

    Wichtig: Anwartschaften aus reinen Beitragszusagen sollen in voller Höhe sofort unverfallbar sein und Erträge nach dem Ausscheiden müssen ausgeschiedenen Arbeitnehmern weiter zukommen.

    Diese neuen Renten sollen mit einer geeigneten Puffermechanik gegen kurzfristige Schwankungen ausgestattet werden, sodass größere Anpassungen (nach unten und nach oben) möglichst vermieden werden. Dazu fordert § 23 des Gesetzentwurfs einen nicht näher spezifizierten Sicherungsbeitrag, der im Tarifvertrag vereinbart werden soll. Hierzu wird es in nächster Zeit sicherlich noch viele Diskussionsbeiträge geben.

    Darüber hinaus fordert § 23 bei einer Entgeltumwandlung in eine reine Beitragszusage einen obligatorischen Arbeitgeberzuschuss von 15 Prozent im Tarifvertrag. Damit soll sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber die ersparten Sozialversicherungsbeiträge der Altersversorgung seiner Arbeitnehmer zukommen lässt.

    § 24 erlaubt wie beim Optionsmodell die Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelung über eine reine Beitragszusage auch bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hiermit ist die Hoffnung des Gesetzgebers verbunden, mit der reinen Beitragszusage einen Vorstoß hin zu deutlich mehr Verbreitung der bAV in kleinen und mittleren Unternehmen zu erzielen.

    Schließlich ermächtigt § 25 des Gesetzentwurfs das BMAS, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen, per Verordnung Mindestanforderungen an die Verwendung von Beiträgen bei einer reinen Beitragszusage festzulegen. Diese Ermächtigung kann auch auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übertragen werden. Diese zunächst nach gesetzgeberischer Formalie aussehende Vorschrift dürfte in der Praxis große Bedeutung erlangen. Denn das Gesetz sieht jedenfalls bisher kaum einschränkende Rahmenbedingungen für die Umwandlung der Beiträge zu einer reinen Beitragszusage in Leistungen vor, geht aber grundsätzlich von der Erzielung solcher Leistungen aus. Die Entwicklung gewisser Mindeststandards, die dafür sorgen, dass tatsächlich auch vernünftige Leistungen herauskommen und diese einigermaßen zuverlässig und nachhaltig geleistet werden können, ist daher relativ wahrscheinlich.
  • Auch wenn das Betriebsrentengesetz in der beabsichtigten Neufassung nur wenig einschränkende Rahmenbedingungen für reine Beitragszusagen vorsieht, enthält der Gesetzentwurf dennoch in den Artikeln 6 und 8 Änderungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes und der Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung. Diese Vorschriften befassen sich mit der Anlage des Sicherungsvermögens, dem Deckungsgrad, der anfänglichen Höhe einer laufenden Rente aus einer Beitragszusage sowie der Entwicklung der Rente, dem Risikomanagement, den Informations- und Aufklärungspflichten sowie der Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde. Ihre detailliertere Darstellung wird hier zunächst ausgespart und einem nachfolgenden Weitblick vorbehalten.

    Bemerkenswert ist allerdings, dass die wesentlichen inhaltlichen Vorschriften zum Regime der reinen Beitragszusage in der Pensionsfonds-Aufsichtsverordnung enthalten sind, obwohl sie sich ausdrücklich auch auf Pensionskassen und Direktversicherungen beziehen. Das könnte darauf hindeuten, dass der Gesetzgeber den Pensionsfonds als bevorzugten Durchführungsweg für die reine Beitragszusage im Auge hatte.
  • Bei der Neugestaltung der Fördergrenzen des § 3 Nr. 63 Einkommensteuergesetz (EStG) hat es den erhofften größeren Sprung nicht gegeben. Nach Auffassung des Finanzministeriums zielt die im Vorfeld geforderte Ausweitung des Dotierungsrahmens gerade nicht auf die eigentlichen Problembereiche der KMU und Geringverdiener. Dennoch wird in § 3 Nr. 63 EStG der heutige Nominalbetrag von 1.800 Euro (zusätzlich zu den 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (BBG)) durch einen demnächst dynamischen, prozentual an der BBG festgemachten Förderrahmen ersetzt und das Ganze etwas aufgerundet auf insgesamt 7 Prozent der BBG.

    Nach wie vor bleibt es aber dabei, dass Beiträge nach § 3 Nr. 63 EStG nur bis zu einer Höhe von 4 Prozent der BBG sozialversicherungsfrei sind.
  • Ein weiterer Fokus des Gesetzgebers im Rahmen der Betriebsrentenstärkung sind die Geringverdiener. Sie werden einen Zuschuss in Form einer einfachen steuerlichen Förderung erhalten, der im Gesetzentwurf durch einen neuen Paragrafen 100 im Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt ist. Geringverdiener sind solche, die monatlich weniger als 2.000 Euro verdienen.

    Gefördert werden nur zusätzliche Beiträge des Arbeitgebers, wenn dieser mindestens 240 Euro in einen externen Durchführungsweg der bAV zahlt (keine Entgeltumwandlung!). Der Arbeitgeber kann in diesem Fall 30 Prozent des Beitrags von der einzubehaltenden Lohnsteuer absetzen, was letztlich zu einer direkten Förderung an der Quelle führt. Der höchste so geförderte Beitrag ist auf 480 Euro begrenzt, der Förderbetrag auf 30 Prozent davon, also auf 144 Euro. Der Arbeitgeberbeitrag ist steuer- und sozialabgabenfrei, die Förderung kann neben der Förderung gemäß § 3 Nr. 63 EStG in Anspruch genommen werden.
  • Weitere Verbesserungen sieht der Gesetzentwurf bei der Berücksichtigung von Leistungen der bAV bei der Grundsicherung und der Verbeitragung vor. Die Anrechnung auf die Grundsicherung wird reduziert, hier bleibt in Zukunft ein Betrag von 100 Euro monatlich zuzüglich 30 Prozent des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge anrechnungsfrei. Die Doppelverbeitragung der Leistungen aus einer Riester-geförderten bAV wird abgeschafft. Leider wird es allerdings bei der Doppelverbeitragung der sonstigen bAV bleiben, da sich das Gesundheitsministerium mit Blick auf die Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu weiteren Zugeständnissen durchringen konnte.
  • Das Gesetz soll zum 1. Januar 2018, gleichzeitig mit den Änderungen aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie, in Kraft treten. 

Fazit und erste Wertung:

Der Gesetzgeber setzt mit den geplanten Neuerungen ganz stark auf die Gestaltungskraft und Breitenwirkung der Tarifparteien. Die Tür zu neuen, transparenten, haftungsarmen und ertragschancenreichen tariflich organisierten bAV-Lösungen wird ganz weit aufgestoßen. Es wird sich zeigen, wie weit bei der konkreten Ausgestaltung Sicherheitsaspekte beziehungsweise Auffangnetze in Form von – gegebenenfalls eingeschränkten – Garantien wieder ins Spiel kommen. Ein Kreativitätsschub für neue bAV-Lösungen darf jedenfalls erwartet werden. Er sollte dann nach dem Willen des Gesetzgebers auch von einem Verbreitungsschub gefolgt werden.

Ob der Anreiz der direkten steuerlichen Förderung von Beiträgen für Geringverdiener für einen weiteren deutlichen Verbreitungsimpuls der bAV sorgt, ist abzuwarten. Der Gesetzgeber bleibt auch hierbei dem Gedanken treu, den Arbeitgeber in eine kollektive Pflicht zu nehmen: Die Förderung gibt es nur für Arbeitgeberbeiträge. Wem der Arbeitgeber sie anbietet, kann er sich wegen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht beliebig aussuchen: Wenn einem Arbeitnehmer, dann allen vergleichbaren. Auch hier wird Gestaltungskreativität gefragt sein, beispielsweise, ob man einen additiven Arbeitnehmerbeitrag durch Entgeltumwandlung zur Voraussetzung für den Arbeitgeberbeitrag machen könnte.

Dr. Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer, Longial


2. Tarifvertragliche Zielrente: Verantwortung der Tarifparteien

Als wesentliche Punkte, die den Referentenentwurf für das Betriebsrentenstärkungsgesetz prägen, sind die sogenannte reine Beitragszusage (Zielrente) und die mit dieser Zusageform zusammenhängende Tarifdispositivität. Den Sozialpartnern wird bereits heute ein hoher Ermessensspielraum bei der Gestaltung betrieblicher Versorgungslösungen eingeräumt. Nach § 17 Abs. 3 und 5 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) können die Sozialpartner per Tarifvertrag von den arbeitsvertraglichen Schutzrechten des BetrAVG umfassend zuungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Dies betrifft beispielsweise die Regelungen zum Anspruch auf Entgeltumwandlung, zur Höhe der unverfallbaren Anwartschaft ausgeschiedener Arbeitnehmer, zur Abfindung und Portabilität sowie zu Auskunftsrechten und zur Rentenanpassung. Diese Tarifdispositivität reicht so weit, dass Entgeltansprüche, die auf einem Tarifvertrag beruhen, nur so weit zur Entgeltumwandlung herangezogen werden dürften, wie dies tarifvertraglich zugelassen ist. Diese Regelungen finden sich auch weiterhin vollumfänglich in dem vorliegenden Referentenentwurf wieder.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Arbeitsministerium auch das neue Instrument der Zielrente ausschließlich der Gestaltungshoheit der Tarifvertragsparteien anheimgeben will. Der Verzicht auf jegliche Garantieleistungen erfordert ein besonderes Maß an Verantwortung für die Interessen der Arbeitnehmer. Und dies sieht die Ministerin bei den Interessenvertretern der Arbeitnehmer am besten aufgehoben.

Das BMAS erkennt als wesentliche Erfolgsfaktoren für das Gelingen der reinen Beitragszusage eine geeignete Kapitalanlage- und Risikostrategie, ein verantwortliches Risikomanagement und – möglicherweise der wichtigste Faktor – eine gelungene Kommunikation.

Der Arbeitgeber erhält durch Zahlung des Beitrags, unabhängig davon, ob es sich um Entgeltumwandlung oder um zusätzliche Beiträge handelt, eine Befreiung von allen weiteren Verpflichtungen und somit eine vollständige Planungssicherheit aus der betrieblichen Altersversorgung („pay and forget“). Der Arbeitnehmer hingegen trägt das volle Risiko und die Unsicherheit über seine zukünftige betriebliche Altersrente. Während dieses Risiko für quasi geschenkte Arbeitgeberbeiträge noch annehmbar erscheint, wird es von der Mehrzahl der Deutschen ohne entsprechende Garantien eher schwierig zu akzeptieren sein. Die genannten Erfolgsfaktoren sind daher sicher zutreffend.

Darüber hinaus wird im Hause von Bundesarbeitsministerin Nahles auch die Einführung eines Optionsmodells vorgeschlagen, das eine automatische Einbindung des Arbeitnehmers in das tarifvertraglich begründete Versorgungssystem des Arbeitgebers vorsieht, wenn der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich der Teilnahme widerspricht. Dieser sanfte Zwang dürfte vielerorts hilfreich sein, wenn man die Verbreitung der bAV und das Gelingen der Zielrente voranbringen will. Dann sollte es sich aber, entgegen dem bisherigen Vorschlag, um ein verpflichtendes Optionsmodell handeln, denn nur allzu schnell wird sonst aus „pay and forget“ ein „forget to pay!“

Mark Walddörfer, Geschäftsführer, Longial