01. September 2020

Rückenwind für eine Reform des § 6a EstG?

Die Pandemie macht vor nichts halt. Auch die bAV ist betroffen. Wie wäre es da mit einer steuerlichen Entlastung bei der steuerlichen Bewertung der Pensionsrückstellungen? Ein Kommentar zu der unendlichen Geschichte des § 6a des Einkommensteuergesetzes.


Corona-Auswirkungen treffen alle
Corona und kein Ende. Aktuell diskutiert Deutschland wieder intensiv über den richtigen Weg im Umgang mit der Pandemie. Sollen die bisherigen Einschränkungen weiter gelockert werden? Oder ist angesichts erneut steigender Infektionen eine Verschärfung der Maßnahmen nötig?

Bezogen auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind die Entscheidungen klarer. Mit der „Bazooka“ will es das Bundesfinanzministerium (BMF) richten. Und mit „Wumms“ soll die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kommen und den pandemiebedingten wirtschaftlichen Einbruch schnellstmöglich hinter sich lassen.

Pensionsrückstellungen als Belastung für Unternehmen?
Im Zuge der Diskussion um die dafür geeigneten Maßnahmen wurde auch die bAV diskutiert. Denn die zweite Säule der Altersvorsoge ist ebenfalls vom wirtschaftlichen Einbruch getroffen. Vielleicht sollte man daher mal wieder einen Blick auf die Pensionsrückstellungen werfen, die bereits vor Pandemieausbruch die Unternehmen erheblich steuerlich belasteten und dies weiterhin tun. „Belastet“, obwohl sich eine Rückstellung doch gewinn- und damit steuermindernd auswirkt. Denn für die steuerliche Bewertung von Pensionsrückstellungen ist ein Rechnungszins von 6 Prozent im § 6a Abs. 3 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) vorgeschrieben. Für die handelsrechtliche Bewertung derselben Pensionsverpflichtung ist der durchschnittliche Marktzins der vergangenen 10 Wirtschaftsjahre maßgeblich, was aktuell einem Zins von circa 2,5 Prozent entspricht – Tendenz weiter stetig fallend.

Als Faustformel gilt: 1 Prozent weniger Rechnungszins bedeutet circa 10 – 15 Prozent höhere Pensionsrückstellung. Die handelsrechtliche Pensionsrückstellung ist also deutlich höher als die steuerlich anzusetzende. Mit anderen Worten: Die Unternehmen werden seit Jahren mit der Besteuerung von Scheingewinnen belastet, wenn die handelsrechtliche Bewertung den richtigen Wert, also den wirtschaftlich begründeten Wert, der bestehenden Pensionslasten widerspiegelt.

Vorschlag des BMF
Zurück zu Corona. In den Überlegungen zu den geeigneten Maßnahmen für den „Wumms“ hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Finanzen in seiner Stellungnahme 03/2020 unter Ziffer 5.3. auch den Vorschlag formuliert, den Abzinsungssatz für die Bewertung von Pensionsrückstellungen abzusenken, um auf diese Weiseen Entlastung einen „spürbarseffekt zugunsten der Unternehmen“ zu bewirken.

Der Wissenschaftliche Beirat führt hierzu aus, dass diese steuerliche Vorschrift seit langem kritisiert wird, „weil der anzuwendende Abzinsungssatz von gegenwärtig 6 Prozent dazu führt, dass die wirtschaftlich gegebene Belastungssituation steuerlich nicht realitätsgerecht abgebildet wird.“ Eine realitätsgerechte Bewertung von Pensionsrückstellungen sei sinnvoll, weil die zur Bedienung dieser Verbindlichkeiten benötigten Mittel für den Steuerpflichtigen nicht disponibel sind. Es handele sich schließlich um Mittel, die für die Gläubigerbefriedigung benötigt werden.

Hört, hört – „steuerlich nicht realitätsgerecht“! Leider hat sich der Gesetzgeber der Empfehlung des Expertengremiums nicht angeschlossen. Die Hoffnungen der Fachwelt und der betroffenen Unternehmen ruhen daher weiterhin auf den Schultern der Richter am Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Warten auf das BVerfG
Unter dem Aktenzeichen 2 BvL 22/17 ist ein entsprechender Vorlagebeschluss beim BVerfG anhängig. Bedauerlicherweise ist allerdings noch vollkommen offen, wann der Zweite Senat des BVerfG sich mit dem Thema beschäftigen wird beziehungsweise ein Urteil fällt. Für 2020 ist nach wie vor kein Termin für dieses Verfahren angesetzt.

Die Befürworter der Absenkung des steuerlichen Rechnungszinses nach § 6a EStG werden die Aussagen des Wissenschaftlichen Beirats aber sicherlich als Wasser auf ihre Mühlen empfinden. Wenn dieses Expertengremium, dass das BMF in den unterschiedlichsten Fragestellungen berät, schon von einer „nicht realitätsgerechten“ Bewertung der Pensionsverpflichtungen spricht, sollte das auch bei den Verfassungsrichtern nicht ohne Wirkung bleiben.

Andererseits hat die Bundesregierung schon im Juli 2018 in ihrer Antwort auf die „Kleine Anfrage“ mehrerer Bundestagsabgeordneter der FDP geantwortet, dass sie den Rechnungszins nach § 6a EStG als „nicht unrealistisch hoch“ einschätzt, „als ertragssteuerliche Größe orientiert er sich an der Eigenkapitalverzinsung und nicht am Fremdkapitalzins“.

Ausgang offen
Es ist nach unserer Einschätzung völlig offen, wie das BVerfG die Frage beantworten wird. So oder so: Die Auswirkungen sind enorm. Eine Entscheidung pro Absenkung des Rechnungszinssatzes bedeutet eine steuerliche Entlastung der Unternehmen. Bei einer Absenkung auf zum Beispiel 3 Prozent spricht die Bundesregierung in der obigen Antwort von einem einmaligen Entlastungseffekt in Höhe von circa 40 Milliarden Euro, in den Folgejahren von einem dreistelligen Millionenbetrag.

Ob nun „Bazooka“ oder „Wumms“: Damit erhalten Unternehmen auf jeden Fall kräftigen Rückenwind. 

Michael Hoppstädter, Geschäftsführer, Longial