25. Mai 2016

Veröffentlichung der Gutachten zur weiteren Verbreitung der bAV facht Reformdiskussion wieder an

Nach langer Wartezeit sind Mitte April nun endlich die Gutachten veröffentlicht worden, die einerseits das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und andererseits das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zum Thema Verbreitung der bAV in Auftrag gegeben hatten.


Die Titel der Gutachten im Wortlaut:

  • Optimierungsmöglichkeiten bei den bestehenden steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Förderregelungen der betrieblichen Altersversorgung.
    (Autoren: Univ.-Prof. Dr. Dirk Kiesewetter, Michael Grom, Moritz Menzel, Dominik Tschinkl)
  • Rechtsgutachten zu dem „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
    (Autoren: Prof. Dr. Dres. h.c. Peter Hanau, Dr. Marco Arteaga)

Die Hintergründe
Den Anstoß für die Gutachten hatte die Absicht der Bundesregierung gegeben, in der laufenden Legislaturperiode Maßnahmen gegen die unzureichende Verbreitung der bAV bei Klein- und Mittelunternehmen (KMU) und bei Geringverdienern zu ergreifen. Dazu hatte das BMAS die Hemmnisse für die weitere Verbreitung untersuchen lassen und als Konsequenz daraus einen revolutionären Reformvorschlag unter dem Namen „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ vorgelegt. Mit dem Kiesewetter-Gutachten wollte das BMF erarbeiten lassen, welche steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Anreize man setzen kann, um die Verbreitung in den genannten Problembereichen zu fördern, ohne dass es zu nicht hinnehmbaren Steuerausfällen kommt. Das Hanau/Arteaga-Gutachten hingegen hatte das Ziel, das Sozialpartnermodell Betriebsrente aus dem Stadium der bloßen Idee ein gehöriges Stück in Richtung konkrete Rahmenbedingungen für die Umsetzung zu bringen.

Beide Gutachten zusammen liefern nunmehr die Basis für ein Reformpaket der Bundesregierung, das erklärtermaßen noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Die Ergebnisse werden derzeit in vielen Gremien diskutiert und bewertet – ein konkreter Gesetzentwurf liegt aber noch nicht vor.

Basis für eine neue Rentendiskussion
Parallel gibt es ganz aktuell auch Überlegungen aus parlamentarischen Arbeitskreisen, beispielsweise aus einer Arbeitsgruppe der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, die sich mit der Weiterentwicklung der bAV befassen. Das alles vor dem Hintergrund einer wieder aufgeflammten und möglicherweise den kommenden Wahlkampf bestimmenden Rentendiskussion, die im Wesentlichen an zwei Punkten anknüpft:

  • drohende Ausweitung der Altersarmut nach der letzten großen Rentenreform im Rahmen der Agenda 2010
  • Schwierigkeiten der privatwirtschaftlich organisierten und kapitalgedeckten Systeme, in Zeiten des Niedrigzinses eine attraktive Alternative / Ergänzung zur gesetzlichen Versorgung zu bieten.

Die wesentlichen Vorschläge der Gutachten und der Arbeitsgruppe in Stichworten
BMF – Kiesewetter:

  • Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung zu einem Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung. Der Zuschuss kompensiert die beim Arbeitgeber ersparten Sozialversicherungsbeiträge und entschädigt den Arbeitnehmer für eine spätere erhöhte Abgabenlast und den Wegfall von Teilleistungen in der gesetzlichen Vorsorge.
  • Einführung eines neuen Anreizes für kleine Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern im Jahresdurchschnitt. Dieser Anreiz könnte so aussehen, dass zum Beispiel 50 Prozent der Beiträge zur bAV im ersten Jahr außerbilanziell steuerlich abgezogen und über einen definierten Zeitraum, beispielweise fünf Jahre, verteilt dann später wieder hinzugerechnet würden. Das würde den Unternehmen, die bAV umsetzen, eine deutliche Liquiditätshilfe anbieten.
  • Verbesserung der Riester-Förderung in der bAV durch Beseitigung der Doppel-Verbeitragung der Riester-geförderten bAV

         oder alternativ

  • ein neues Fördermodell „bAV-Förderbetrag“, der der Höhe nach der Riester-Förderung entspricht und an Arbeitgeber gezahlt wird, die einen Mindestbeitrag in eine bAV einzahlen. Die Zulage wird dann über das Lohnsteuerabzugsverfahren auf die Altersvorsorgezulage des Arbeitnehmers angerechnet, so dass die Abwicklung administrativ einfach über das weitestgehend automatisierte Lohnsteuerabzugsverfahren erfolgen könnte.

BMAS – Hanau / Arteaga:

  • Tarifvertraglich vereinbarte, vorstrukturierte und rechtlich geprüfte Leitplanken für Versorgungsregelungen in einer Branche setzen einen Rahmen, innerhalb dessen sowohl die Tarif- als auch die Betriebsparteien eine große Vielfalt an bAV-Lösungen umsetzen können.
  • Einführung der reinen Beitragszusage für Arbeitgeber. Dies befreit Arbeitgeber nicht nur von der Haftung für gefürchtete Garantien, sondern löst auch die derzeitigen Schwierigkeiten bei der Portabilität.
  • Einstieg in die im Ausland bereits praktizierten sogenannten „Zielrentensysteme“, die zwischen Leistungszusagen und Beitragszusagen angesiedelt sind und ohne explizite Arbeitgebergarantien auskommen.
  • Alleinhaftende Versorgungsträger: Die Tarifparteien schaffen neue Lösungen, etwa im Sinne sogenannter Gemeinsamer Einrichtungen, wie es das Sozialpartnermodell Betriebsrente vorgesehen hat. Oder Sie bedienen sich vorhandener Versorgungsträger wie Pensionskassen, Pensionsfonds oder Versicherer, die eine alleinige und eigene Haftung für ihre Leistungen bieten. Ein Wettbewerb unter diesen Versorgungsträgern kann dadurch geschaffen werden, dass sich die Auftraggeber vorbehalten, bei unzureichender Leistung den Bestand auf einen anderen Versorgungsträger übertragen zu können.
  • Kollektive Ausfall- und Insolvenzsicherung über bestehende Systeme (Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG), Protektor) und Schaffung eines neuen Segmentes im PSVaG für die Versorgungsträger, die nicht Mitglied in einem Sicherungsfonds sind.

Arbeitsgruppe CDU/CSU:

  • Erhöhung der steuerfreien Entgeltumwandlung auf 6 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze.
  • Realitätsgerechte steuerliche Erfassung von Pensionsrückstellungen. Diese Forderung besteht schon seit Jahren und wurde bisher stets wegen zu hoher Steuerausfälle abgelehnt.
  • Steuerliche Förderung von Arbeitgeber-Zuschüssen für die bAV von Niedrigverdienern (siehe Gutachten des BMF).
  • Nur einmal Beiträge zur Kranken-und Pflegeversicherung zahlen, und zwar in der Regel auf die Versorgungsbezüge (siehe BMF-Gutachten, auch von den Autoren des BMAS-Gutachtens ergänzend empfohlen).
  • Verbesserte Verknüpfung mit der Riester-Förderung für Niedrigverdiener zur Anreizverbesserung (siehe BMF-Gutachten).
  • Jeder Arbeitnehmer erhält künftig automatisch ein Angebot für die bAV, aber er kann sich weiterhin für oder gegen einen bAV-Vertrag entscheiden (Opting-out).

Wir werden Sie an dieser Stelle über die nun tatsächlich zu erwartende weitere Konkretisierung der Reformvorhaben auf dem Laufenden halten.

Dr. Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer, Longial