11. September 2024

Versorgungszusage an leitende Angestellte – Hinterbliebenenversorgung bei Mindestehedauer- und Spätehenklausel

BAG-Urteil vom 21.11.2023 – 3 AZR 44/23


Der Fall
Die Witwe eines leitenden Angestellten, dem eine betriebliche Versorgung auf der Grundlage einer Gesamtzusage erteilt worden war, macht Ansprüche auf eine Hinterbliebenenrente geltend. Im Arbeitsvertrag des verstorbenen Arbeitnehmers war eine Klausel enthalten, nach der der Mitarbeiter Anspruch auf die in der Versorgungsordnung (VO) der H-Betriebe gültigen Regelung hat. Hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung enthielt die Zusage die Regelung, dass die Ehe vor Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen werden musste und am 1.12. vor dem Tod des Mitarbeiters mindestens ein Jahr bestanden haben musste, um einen Anspruch zu begründen. Später ging das Arbeitsverhältnis auf ein anderes Unternehmen der Gruppe über. Hier wurde eine Betriebsvereinbarung zur bAV geschlossen, welche regelte, dass für die von der Betriebsvereinbarung erfassten Arbeitnehmer weiterhin die Bestimmungen der VO (einschließlich der Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung) Anwendung finden. Die VO wurde als Bestandteil der Betriebsvereinbarung bezeichnet und dieser als Anlage beigefügt. Der Mitarbeiter kam durch einen Autounfall ums Leben. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Ehe nur wenige Monate und war zudem erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres geschlossen, so dass der Arbeitgeber Zahlungen auf eine Hinterbliebenenrente ablehnte.

Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sprach der Witwe einen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu, weil sowohl die Spätehen- als auch die Mindestehedauerklausel unwirksam waren.

Kein dynamischer Verweis auf die Betriebsvereinbarung
Das BAG hat zunächst festgestellt, dass grundsätzlich die in einem Arbeitsvertrag enthaltenen Bezugnahmeklauseln dynamischen Charakter haben. Hier allerdings kommt das Gericht durch Auslegung zu dem Ergebnis, dass die im Arbeitsvertrag des Ehemanns enthaltene Bezugnahmeklausel („auf die in der Versorgungsordnung der H-Betriebe gültigen Regelung“) aufgrund seiner Stellung als leitender Angestellter nicht für die spätere zustande gekommene Betriebsvereinbarung gilt. Es waren keine Anhaltspunkte dafür enthalten, dass von der Bezugnahmeklausel auch eine erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlossene Betriebsvereinbarung miterfasst sein sollte, in deren persönlichen Anwendungsbereich der leitende Angestellte nicht fällt. Ansonsten hätte es einer Klarstellung im Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses bedurft. Es galt also nach wie vor die ursprüngliche Gesamtzusage.

Unwirksamkeit der Spätehenklausel (Eheschließung vor Vollendung des 60. Lebensjahres)
Im Weiteren stellte das BAG fest, dass die verwendete Spätehenklausel unwirksam ist, weil sie gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt. Der Ausschluss bewirkt eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich auch nicht gerechtfertigt. Im Rahmen von Spätehenklauseln seien festgesetzte Altersgrenzen nur dann wirksam, wenn sie an ein sogenanntes betriebsrentenrechtliches Strukturprinzip anknüpfen, das heißt, wenn sie auf einen Zeitpunkt abstellen, zu dem typischerweise mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechnet werden könne beziehungsweise zu dem das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet oder der Versorgungsfall eingetreten sei. Dies sei bei einer Anknüpfung an die Vollendung des 60. Lebensjahres nicht der Fall. 

Unwirksamkeit der Mindestehedauerklausel (einjährige Ehezeit)
Das BAG betont hier zunächst, dass der Arbeitgeber nach dem Betriebsrentenrecht nicht gehalten ist, sich den Regeln der gesetzlichen Sozialversicherung anzuschließen und für die betriebliche Versorgung gleiche oder entsprechende Regeln aufzustellen. Infolgedessen können die Anspruchsvoraussetzungen einer betrieblichen Hinterbliebenenrente enger sein als im gesetzlichen Rentenversicherungsrecht. 

Eine unangemessene Benachteiligung ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung der durchzuführenden umfassenden Abwägung der betroffenen Interessen des Versorgungsberechtigten und des Arbeitgebers. Das BAG hat eine Klausel mit einer Frist von einem Jahr zwischen der Eheschließung und dem Tod des unmittelbar Versorgungsberechtigten unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertungen im Bereich der gesetzlichen Rente und der Beamtenversorgung zwar noch für zulässig gehalten. Diese Einjahresfrist wird jedoch mit der vom Arbeitgeber hier verwendeten Klausel schon überschritten.

Darüber hinaus sieht die verwendete Klausel keine Möglichkeit für den Hinterbliebenen vor, nachzuweisen, dass sich trotz des Todes innerhalb der festgelegten Frist das Risiko zu dem Zeitpunkt, als der Schutz der Versorgungsordnung eintrat (Zeitpunkt der Eheschließung), noch nicht konkretisiert hatte. Das wäre beispielsweise möglich gewesen durch Zusätze in der Klausel, dass ein Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung nicht erfolgt, wenn der Tod durch Unfall oder Krankheit eintritt und letztere im Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht aufgetreten war.

Fazit

Aus der vorliegenden Entscheidung wird deutlich, dass dynamische Verweisungsklauseln nicht ohne Weiteres in allen Fällen gelten. Insbesondere bei leitenden Angestellten müsste klargestellt werden, dass eine sich ändernde Rechtsgrundlage beziehungsweise deren Inhalte, unter die der Leitende normalerweise nicht fallen würde (hier die Betriebsvereinbarung), Anwendung finden soll. 

Im Übrigen bestätigt und konkretisiert das BAG seine bisherige Rechtsprechung zu Spätehen- und Mindestehedauerklauseln.

i Was ist zu tun?

  • Bei Neuzusagen hat der Arbeitgeber Möglichkeiten, die Hinterbliebenenversorgung im Rahmen der rechtlichen Grenzen wirksam einzuschränken, um seine Risiken zu begrenzen. Allerdings sind hier genaue Formulierungen erforderlich. In diesem Rahmen ist die Expertise eines Beraters sinnvoll. Sprechen Sie uns gerne an!

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de


Anja Sprick, Justiziarin Recht | Steuern, Longial