23. Februar 2022

Zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen

BFH-Urteil vom 1.9.2021 – VI R 21/19: Ob eine Direktversicherung vorgelagert pauschal oder nachgelagert zu besteuern ist, hängt im Wesentlichen davon ab, ob die zugrunde liegende Zusage vor 2005 (Alt-) oder danach (Neuzusage) erteilt wurde.


Die Ausgangslage
Für einen Arbeitnehmer war im Jahr 1997 eine Direktversicherung abgeschlossen worden. Der Arbeitgeber versteuerte die Versicherungsbeiträge pauschal nach § 40b Einkommensteuergesetz (EStG) (alte Fassung). Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses 2013 wurde 2014 ein gerichtlicher Vergleich geschlossen. Demnach erhielt der Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung, die anteilig als Beitrag für eine Direktversicherung zu verwenden war. Der ehemalige Arbeitgeber schloss hierfür eine zweite Direktversicherung bei einem anderen Versicherungsunternehmen ab. Die Beitragszahlung erfolgte gemäß § 3 Nr. 63 EStG unter Anwendung der sogenannten Vervielfältigungsregel steuerfrei.  

Die Sicht der Finanzverwaltung auf die Bestimmung des Zusagedatums ...
Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung versagte das Finanzamt für die zweite Direktversicherung jedoch die Steuerfreiheit des Beitrags. Die Regelungen des EStG zur Pauschalbesteuerung seien bei Beiträgen für eine Direktversicherung weiter anzuwenden, wenn diese aufgrund einer vor dem Jahr 2005 erteilten Versorgungszusage geleistet werden und der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber auf die Steuerfreiheit der Beiträge verzichtet habe. Diese Bedingungen seien im vorliegenden Fall gegeben. Die Finanzverwaltung betrachtete die beiden Direktversicherungen deshalb als insgesamt im Jahr 2005 erteilt und damit als Einheit. Da bei der ersten Direktversicherung an der Pauschalversteuerung festgehalten worden war, also auf die Steuerfreiheit der Beiträge verzichtet wurde, sah es die Pauschalbesteuerung bei der zweiten Direktversicherung als zwingend an.

... wollte sich der BFH nicht zu eigen machen ...
Der Einschätzung, dass die beiden Direktversicherungen im Sinne der Zusageerteilung eine Einheit bilden, erteilte der Bundesfinanzhof (BFH) eine klare Absage. Bei der Frage, wann eine Zusage erteilt wird, sei nämlich grundsätzlich die arbeitsrechtliche beziehungsweise betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgeblich. Diese Erklärung wurde im vorliegenden Fall – was den Abschluss der zweiten Direktversicherung betrifft – nach Ansicht des BFH unzweifelhaft erst im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs abgegeben. Die Zusage auf Einrichtung der zweiten Direktversicherung wurde also nicht bereits im Jahr 1997, sondern erst im Jahr 2014 erteilt. Vor diesem Hintergrund wurde das Verfahren vom BFH an das Finanzgericht zurückverwiesen, das noch weitere Feststellungen nachzuholen hat.

... und kritisierte das BMF-Schreiben zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen
In der Urteilsbegründung geht der BFH dabei auch auf Kriterien ein, die das Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 24.7.2013 (IV C 3 – S 2015/11/10002, IV C 5 – S 2333/09/10005, Rz. 351) im Zusammenhang mit der Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen benennt. Insbesondere setzt er sich kritisch mit der Forderung der Finanzverwaltung auseinander, wonach bei Erhöhungen einer bAV in der Regel weiterhin von einer Altzusage auszugehen sei, wenn die betreffende Versorgungszusage nicht um zusätzliche biometrische Risiken (Alter, Invalidität, Tod) erweitert werde. Dieser Einschätzung folgt der BFH nicht. Das Fehlen oder das Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann nach seiner Meinung vielmehr allenfalls ein Indiz für eine einheitliche oder nicht einheitliche Versorgungszusage sein. Mit anderen Worten: Dem Kriterium kommt keine substanzielle Bedeutung zu.

Fazit

Der BFH stellt klar, dass die Frage, ob Direktversicherungen auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten ist. Grundsätzlich ist dabei die jeweilige arbeitsrechtliche beziehungsweise betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgeblich. Das Steuerrecht folgt hier insoweit dem Arbeitsrecht. Insbesondere ist das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos keine gesetzliche Voraussetzung für die Einordnung einer Direktversicherung als eine Neuzusage. Der BFH äußert sich diesbezüglich sehr allgemein. Analoges dürfte daher auch für die anderen Durchführungswege der bAV gelten. 

i Was ist zu tun?

  • Das Urteil zeigt bereits an einem einfachen Beispiel, dass die Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen nicht selten schwierig ist. Doch die richtige Auslegung ist wichtig, da die Unterscheidung in der Praxis – vor allem in steuerlicher Hinsicht – beträchtliche Auswirkungen haben kann. Wer diesbezüglich Zweifel hat, sollte sich also fachmännische Unterstützung bei Experten in Sachen Arbeitsrecht suchen.

Weitere Infos unter: weitblick@longial.de


Michael Gerhard, Aktuar (DAV), Versorgungsträger-Management, Longial
(Experte für Stellungnahmen mit rechtlichem und steuerlichem Hintergrund insbesondere im Rahmen der Verwaltung von Unterstützungskassen und für deren Jahresabschluss).