28. Juli 2015

Mittelstand verdrängt Insolvenzgefahren durch Direktzusagen infolge des Niedrigzinses

bAV-Experten warnen: Unternehmer müssen jetzt handeln!


Zusatzbelastungen von mehreren Millionen Euro, reduzierte bis gar keine Gewinnausschüttungen und im schlimmsten Fall sogar die Gefahr einer Insolvenz: Damit müssen zahlreiche mittelständische Unternehmen mit Pensionsverpflichtungen in den nächsten Jahren rechnen. Dabei sind die dramatischen Auswirkungen der Zinsschmelze seit langem bekannt. Doch nach Erfahrung des bAV-Experten Paulgerd Kolvenbach, Geschäftsführer des Pensionsberaters Longial, verdrängen viele Arbeitgeber das Thema noch immer – oder hoffen auf eine Trendwende an den Finanzmärkten: „Diese Taktik wird sich bei vielen kommenden Jahresabschlüssen rächen“, warnt der Fachmann. Dabei gibt es durchaus Wege, die Auswirkungen des Niedrigzinses abzumildern. Allerdings ist dafür rasches Handeln gefragt.

Verpflichtungen in Bilanz berücksichtigen
Falls ein Arbeitgeber unmittelbare Versorgungszusagen, also Direktzusagen, erteilt hat, muss er die eingegangenen Verpflichtungen in der Bilanz als Rückstellung berücksichtigen. Die Höhe entspricht gemäß Handelsgesetzbuch dem „nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrag“. „Damit ist der versicherungsmathematisch ermittelte, diskontierte Barwert der künftig zu zahlenden Versorgungsleistungen gemeint“, erläutert der bAV-Sachverständige Paulgerd Kolvenbach von Longial. Der heranzuziehende Rechnungszins (Diskontierungszins) wird monatlich von der Bundesbank ermittelt. Sie leitet ihn im Wesentlichen aus Marktwerten für die Rendite von Unternehmensanleihen hoher Bonität ab. Um große Schwankungen zu vermeiden, erfolgt zusätzlich eine Glättung über die letzten sieben Jahre.

Rechnungszins im Abwärtstrend
Der Rechnungszins bewegt sich schon seit Monaten stetig nach unten. Und das ist nur der Anfang: „In 2015 und den kommenden Jahren verlassen nun teilweise extrem hohe Renditen aus den Jahren 2008 bis 2010 von bis zu sieben Prozent die Glättungsperiode und werden durch aktuelle Marktwerte von 1,5 bis 2,0 Prozent ersetzt“, erklärt Kolvenbach und warnt: „Dadurch beschleunigt sich der Abwärtstrend nochmals dramatisch.“ So müssen sich Unternehmen mit Pensionsrückstellungen bereits in diesem Jahr auf eine gegenüber 2014 zwei- bis dreifach erhöhte Zusatzbelastung einstellen. Das bedeutet für einige mittelständische Arbeitgeber einen Zuwachs der Pensionsrückstellungen bis 2021 von mehr als 160 Prozent!

Positive Zeichen aus der Politik
Entspannung versprechen indes zwei aktuelle Entwicklungen: Die Politik hat das Risiko für die Unternehmen offenbar erkannt und möchte nach der Sommerpause tätig werden. Favorisiert wird derzeit wohl eine Ausweitung der Glättungsperiode von sieben auf 12 Jahre. Doch die Diskussion befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Der Longial-Experte dämpft die Erwartungen: „Ob, wann und mit welchem Inhalt eine Gesetzesänderung erfolgt, bleibt abzuwarten.“ Ein wenig Hoffnung kommt auch mit Blick auf die Finanzmärkte auf: Sie scheinen zumindest kurzfristig eine Trendwende vollzogen zu haben. Seit Ende März hat sich die Rendite für Unternehmensanleihen mit hoher Bonität und langer Laufzeit annähernd verdoppelt. Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, bleibt indes abzuwarten. „Die Auswirkungen auf die Pensionsrückstellungen werden wegen der langen Glättungsperiode zunächst ohnehin kaum spürbar sein“, so Kolvenbach.

Umgehend gegensteuern
Die bilanziellen Belastungen aus der Zinsschmelze spüren Unternehmen mit Pensionsrückstellungen bereits im Jahresabschluss 2015. Sie sind dieser Entwicklung aber nicht alternativlos ausgeliefert – allerdings wäre sofortiges Handeln notwendig. Das bedeutet in der Praxis, mit Unterstützung erfahrener bAV-Spezialisten eine Bestandsaufnahme zu erstellen. Daraus kann eine Prognose der weiteren Entwicklung abgeleitet werden. Basierend darauf sind beispielsweise bilanzielle Sofortmaßnahmen wie eine Reduzierung des Rententrends von jährlich 2,0 Prozent auf 1,75 bis 1,50 Prozent empfehlenswert. Eine Auslagerung der Pensionslasten, etwa durch die Umstellung auf einen Pensionsfonds, aber auch eine Neuordnung der Versorgungslandschaft sind weitere Maßnahmen, mit denen Unternehmen den Niedrigzins-Auswirkungen begegnen können.