STANDPUNKT

Zur Anwendbarkeit der Fünftelungsregelung auf bAV-Leistungen – Bundesfinanzhof vom 20.9.2016, X R 23/15

Michael Gerhard, Mitarbeiter im Fachbereich Recht | Steuern der Longial GmbH, zum Inhalt des BFH-Urteils und möglichen Auswirkungen:

Die Frage, unter welchen Bedingungen die sogenannte Fünftelungsregelgung gemäß § 34 Einkommensteuergesetz (EStG) – insbesondere im Hinblick auf Leistungen der bAV – Anwendung findet, war bereits in der Vergangenheit Gegenstand von Entscheidungen des BFH. Hierüber wird nicht selten gestritten. Denn die Fünftelungsregelung bewirkt in der Regel eine Milderung der Steuerprogression beim Zusammentreffen von laufend bezogenen Einkünften (zum Beispiel aus nichtselbstständiger Arbeit) und außerordentlichen Einkünften. Aus Sicht der begünstigten Leistungsempfänger besteht daher naturgemäß ein großes Interesse an ihrer Anwendbarkeit. Die erwähnte Milderung der Steuerprogression ergibt sich dadurch, dass bei Ermittlung der maßgeblichen Steuer im ersten Schritt lediglich diejenige Steuerschuld bestimmt wird, welche sich ohne Berücksichtigung der außerordentlichen Einkünfte ergeben würde. Im zweiten Schritt folgt die Berechnung der Steuerschuld unter Einbeziehung eines Fünftels der außerordentlichen Einkünfte. Schließlich ist der Unterschiedsbetrag zu verfünffachen und der im ersten Schritt ermittelten Steuer hinzuzurechnen. Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG sind dabei unter anderem „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten“, wobei „mehrjährig eine Tätigkeit [ist], soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.“

 

Auf die Art der Auszahlung...

„Außerordentlich“ kann eine Zahlung aus einer bAV nach Auffassung der Finanzverwaltung nur dann sein, wenn hierbei „eine Zusammenballung von Einkünften eintritt, die bei Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit auf wirtschaftlich vernünftigen Gründen beruht und bei anderen Einkünften nicht dem vertragsgemäßen oder dem typischen Ablauf entspricht“ (vergleiche R 34.4 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinie (EStR)). Eine entsprechende Zusammenballung von Einkünften ist nach herrschender Meinung allein bei Auszahlung einer Leistung in Form einer Einmalzahlung gegeben. Raten- und/oder Rentenzahlungen sind hingegen von der Anwendbarkeit der Fünftelungsregelung ausgeschlossen. Entsprechend hat der BFH in der Vergangenheit durchgängig entschieden. Lediglich Teilauszahlungen von geringfügiger Höhe stehen nach seiner Einschätzung der Anwendung des § 34 EStG nicht entgegen (vergleiche zum Beispiel das Urteil des BFH vom 13.10.2015, IX R 46/14). 

 

...und den Durchführungsweg kommt es an

Nach Auffassung der Finanzverwaltung kommt eine Anwendung der Fünftelungsregelung bei einer Leistung aus einer bAV zudem nur dann in Betracht, wenn diese aus einer Direktzusage beziehungsweise einer Unterstützungskasse stammt (vergleiche Rn. 371 des BMF-Schreibens vom 24.7.2013 (IV C 3 – S 2015/11/10002; IV C 5 – S 2333/09/10005)). Bei anderen Durchführungswegen sei hingegen der § 34 EStG nicht einschlägig (siehe Rn. 373 dieses BMF-Schreibens). Gegen diese Auffassung der Finanzverwaltung ging die Empfängerin einer gemäß § 22 Nr. 5 EStG zu besteuernden Pensionskassen-Kapitalzahlung vor und bekam zunächst vor dem Finanzgericht Köln Recht (Urteil vom 19.5.2015 – 5 K 1792/12). Das Finanzgericht begründete dies im Wesentlichen damit, dass für eine unterschiedliche Behandlung der nach § 22 EStG zu versteuernden Kapitalleistungen aus einer Basisvorsorge und der bAV keine sachliche Rechtfertigung bestünde. Für Kapitalleistungen der sogenannten Basisvorsorge (Besteuerung nach § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) habe der BFH die Anwendung der Fünftelungsregelung aber zugelassen (Urteile v. 23.10.2013, X R 33/10 und X R 3/12).


Und es bleibt alles so wie es ist (oder doch nicht?)

Dieser Auffassung der Vorinstanz hat sich der BFH – zumindest bei der vorliegenden Fallkonstellation – nicht anschließen wollen. Insbesondere macht er sich nicht den Analogieschluss zur Basisvorsorge zu eigen. Mit seinem Urteil lehnt er eine Begünstigung von Kapitalleistungen aus einer Pensionskassen-Versorgung durch die Regelungen des § 34 EStG vielmehr ab. Er bestätigt insoweit – wenig überraschend – die Auffassung der Finanzverwaltung. Bemerkenswert ist aber seine Begründung: Zwar sei § 34 EStG grundsätzlich auf alle Einkunftsarten anwendbar. Auch ließe sich der Norm keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf bestimmte Einkunftsarten entnehmen. Es fehle jedoch an der „Außerordentlichkeit“ der Einkünfte aus der Pensionskassen-Versorgung. Denn im vorliegenden Fall habe das Versorgungswerk ein Kapitalwahlrecht für die Versorgungsleistung ausdrücklich vorgesehen. Die Kapitalleistung stelle insoweit keinen atypischen Ablauf dar. Dem stünde auch nicht entgegen, dass eine Kapitalauszahlung nach dem Wortlaut des Versorgungswerks nur bei einem Zusammenwirken des Arbeitgebers und der ehemaligen Arbeitnehmerin erlangt werden konnte. 

 

Auswirkungen des Urteils

Hier stellt sich dem aufmerksamen Leser des Urteils die Frage, inwieweit mit einer solchen Argumentation nicht auch die Anwendbarkeit der Fünftelungsregelung bei allen Durchführungswegen (also auch der Direktzusage und der Unterstützungskasse) angezweifelt werden könnte. Ob das Urteil tatsächlich auch Auswirkungen auf nicht-versicherungsförmige Durchführungswege entfaltet, mag auf den ersten Blick unwahrscheinlich wirken. Es bleibt nämlich offen, ob der BFH womöglich (doch) zwischen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und anderen Einkünften hinsichtlich des Erfordernisses eines nicht-atypischen Ablaufs unterscheiden würde (auch wenn dies in der Urteilsbegründung nicht wirklich zum Ausdruck kommt). Jedenfalls wurde – offenbar auch von der Finanzverwaltung – eine frühere Entscheidung des BFH so interpretiert, dass im Falle von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (wie es bei einer Direktzusage beziehungsweise Unterstützungskasse der Fall ist) die Anwendung der Fünftelungsregelung sachgerecht ist (vergleiche BFH-Urteil vom 12.4.2007 (VI R 6/02)). Die Hoffnung, dass sich der BFH in der aktuellen Entscheidung also womöglich nur unpräzise geäußert haben könnte, wird auch dadurch genährt, dass in der Urteilsbegründung offensichtliche Ungenauigkeiten enthalten sind – so werden zum Beispiel die Durchführungswege Pensionskasse und Pensionsfonds verwechselt. Doch Vorsicht dürfte allemal geboten sein. Zumindest besteht nun hinsichtlich der Frage der Übertragbarkeit des Urteils auf alle Durchführungswege eine gewisse Rechtsunsicherheit.

 

P. S.

Verwirrung stiftet der BFH zudem mit einer Randbemerkung in seiner Urteilsbegründung, wonach die Einräumung von Kapitalisierungsoptionen der Steuerfreiheit von Beiträgen nach § 3 Nr. 63 EStG womöglich entgegenstehen könnte. Die genannte Regelung sei nach seiner Auffassung strenggenommen nur insoweit maßgeblich, als die spätere Auszahlung der Versorgungsleistungen in Form einer Rente oder eines Auszahlungsplans vorgesehen sei. Ein Kapitalwahlrecht stünde aber außerhalb der in § 3 Nr. 63 EStG aufgeführten Auszahlungsformen. Inwieweit tatsächlich begründete Zweifel an der Steuerfreiheit der Beiträge bestehen, lässt der BFH gleichwohl offen. Derartige Risiken hatte die Kommentierung bislang allgemein nicht gesehen. Auf die weitere Entwicklung auch in dieser Frage darf man gespannt sein.